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Zufriedene junge Menschen auf dem Land, grüne Entwicklung und der Anschluss ans digitale Zeitalter – auch in Afrika hält Professor Joachim von Braun dieses Zukunftsszenario für möglich. Seit drei Jahrzehnten erforscht der Agrarwissenschaftler, welche Stellschrauben der Politik zur Schaffung von Wohlstand auf dem Kontinent zur Verfügung stehen.
Entstehen zusätzliche Jobs in Afrika auf dem Land oder in der Stadt?
von Braun: Zusätzliche Jobs entstehen vor allem auf dem Land – aber nicht in der Landwirtschaft, sondern mit der Landwirtschaft: in der Fabrik, die Gemüse in Konserven abpackt, Bohnen und Erbsen einfriert, Mangos zu Saft verarbeitet; also in der Wertschöpfungskette hin zum Konsumenten. Vieles davon geht in relativ kleinem Stil. Ich kenne eine Reihe von Kleinunternehmen, die ihren Mango-Sirup von drei Hektar-Betrieben in Kenia oder Indien aus nach England exportieren. In der Bewirtschaftung von Ackerland allein entstehen dagegen keine zusätzlichen Jobs. Dort werden sie sogar abnehmen, in Afrika genauso wie das bereits früher in Europa der Fall war. Weil die Bauern durch Technik, Mechanisierung und verbesserte Stallhaltung produktiver arbeiten.
In den meisten Ländern Afrikas besitzen Landwirte nur sehr kleine Parzellen. Und trotzdem gehen vom Land aus Wachstumsimpulse in die Stadt?
Denken sie mal daran, wo es in Deutschland die kleinsten landwirtschaftlichen Betriebe gab und gibt: im Südwesten. Baden-Württemberg ist inzwischen dennoch die Region mit der höchsten Patentdichte in Deutschland und dem dynamischsten Mittelstand. Das kommt nicht von ungefähr. Kleinbäuerliche Unternehmen haben das Unternehmertum im Blut. Daraus sind in Südwestdeutschland auf dem Weltmarkt agierende mittelständische Unternehmen geworden, die enorm viel Jobs geschaffen haben. Anspruchsvolle Jobs, die viel Bildung erfordern. Diese Chance besteht langfristig auch in zahlreichen Regionen Afrikas.
Klingt nach einer fernen Zukunftsvision. Findet denn Strukturwandel in Afrika überhaupt statt?
Die ökonomische Transformation läuft in Afrika genauso, wie sie auch in Europa vonstatten gegangen ist: der Anteil des landwirtschaftlichen Sektors an der Volkswirtschaft schrumpft, der Industriesektor wird größer und der Dienstleistungssektor noch größer. Die Frage ist nur, wie weich oder hart dieser Wandel vonstatten gehen wird. Wie hoch Arbeitslosigkeit und Landflucht und damit Konflikte in Stadt und auf dem Land ausfallen werden.
Wie kann Politik diesen Prozess gestalten?
Afrikas Länder haben in vielen Fällen inzwischen klare Vorstellungen und Pläne für ihre Zukunft. Wo diese überzeugend sind, sollten sie durch Entwicklungspolitik und Finanzierung unterstützt werden. Planung von außen hilft wenig. Grundsätzlich gilt, die Politik muss viel mehr Verarbeitung und Dienstleistung im ländlichen Raum halten und die Abwanderung der Jobs in unproduktive Dienstleistungen in der Stadt verhindern, wo die jungen Männer und Frauen dann irgendwo an der Straße sitzen und Kaugummis, Telefonchips oder sonstige Dinge von geringem Wert verkaufen. Die Politik muss als erstes dazu beitragen, dass der ländliche Raum über die nötige Infrastruktur an Entwicklungsachsen angeschlossen ist, über Straßen, Elektrizität, Telefonverbindungen, Gesundheitsversorgung. Und zweitens müssen Partner da sein, die Finanzierung ermöglichen. Dafür müssen der Bankensektor, Kredit- und Genossenschaftseinrichtungen unterstützt werden. Und drittens geht´s auch um Technik, zum Beispiel zur Verpackung und Sortierung von Agrarprodukten, zur Identifizierung von Marktlücken, zur Entwicklung eines Business-Plans. Zu all dem kann Entwicklungszusammenarbeit viel beitragen.
Nach welchem Plan sollte Infrastruktur sinnvoll ausgebaut werden?
Das kann man geschickt und ungeschickt anstellen. Unsere Forschung zeigt, dass Synergie-Effekte am höchsten sind, wenn Infrastruktur simultan ausgebaut wird und nicht heute die Straße, morgen die Stromleitung und übermorgen die Telefonverbindung oder das Glasfaserkabel, das sich in Afrika ja auch verbreitet. Bündelt man die Investitionen, werden sie zum Big Bang im ländlichen Raum. Investoren betrachten Infrastruktur jedoch noch zu sektoral. Der eine hat die Schiene im Blick, der andere die Straße und so weiter. Sie müssen sich mit den planenden Ländern zusammensetzen und abstimmen. Außerdem wird bei Infrastruktur zu sehr an große Straßen gedacht und nicht auch kleine, dennoch befahrbare Wege. Unsere Forschung zeigt: Der ökonomische Nutzen von Wegenetzen ist viel höher, als bei größeren Verkehrsprojekten.
Die Big Bang-Theorie könnte auch riskant sein, wenn in die Herkunftsregion des Präsidenten investiert wird, andere Regionen dagegen warten müssen.
Infrastruktur-Projekte sind immer hoch politisch. In Afrika ist das Hauptproblem allerdings nicht, dass korrupte Regierungschefs die Infrastruktur zu ihrem Wochenenddomizil ausbauen. Viel größere Fehlinvestitionen kommen zustande, indem sich Infrastruktur-Projekte an den Vorkommen von Öl, Gas und Minen orientieren – und damit vorbei an Entwicklungschancen im ländlichen Raum. Kurzfristige Rohstoffextraktion statt langfristiger Entwicklung – die Regierungen können dabei unterstützt werden, nachhaltige Infrastrukturplanung zu stärken.
Tragen zu dieser Fehlentwicklung internationale Akteure genauso bei wie nationale?
Klar. Nehmen wir das Beispiel Südsudan: Der Agronom und Befreiungsführer John Garang, der bei einem Unfall ums Leben kam, sah als sein wichtigstes Vermächtnis einen Straßenbauplan an, der eben nicht zu den Gas- und Ölquellen führte, sondern dahin, wo die Menschen leben und die landwirtschaftlichen Entwicklungspotenziale sind. Aber die politische Wirklichkeit hat seinen Plan durchkreuzt. Im Südsudan herrscht Krieg um Ressourcen und die entwicklungsorientierte ländliche Infrastruktur ist vergessen.
Ist der Einfluss von China besonders bedenklich?
China wird ungerechtfertigterweise als Buhmann hingestellt, gerade wenn es um land grabbing geht. Europäische Investoren haben vermutlich mehr land grabbing betrieben als China. Außerdem orientieren sich die Investitionen der Chinesen in Afrika mittlerweile stärker als früher an der Entwicklung der Region. Das ist zum Beispiel beim Bau den Bahnlinien in Ostafrika der Fall. Diese Investitionen hätte ich mir schon lange von der westlichen Geber-Community gewünscht.
Wieso wurden sie nicht getätigt, wieso jetzt?
Investitionen in Infrastruktur waren out. Angesagt war dagegen die Entwicklung in der Stadt. Das ist in den 90er Jahren übertrieben worden und hat dazu geführt, dass der ländliche Raum und die Landwirtschaft abgehängt blieben. Eine viel zu kleine Rolle hatten folglich gute Infrastruktur-Projekte. Wir müssen jetzt umdenken und wieder mehr in Landwirtschaft und die Erschließung ländlicher Räume investieren. Das ist das Paket, das die Jobs da bringen wird, wo die jungen Leute auf sie warten.
Als zweiten Faktor zur Gestaltung von Strukturwandel nannten sie die Finanzierung. Aber Banken sind doch privatwirtschaftliche Akteure. Was kann die Politik tun?
Kleinbauern benötigen Zugang zu Krediten. Der Staat kann Kreditrisiken absichern. Landwirtschaft ist ein riskantes Geschäft, vor allem angesichts des Klimawandels, der durch Dürren eine ganze Region in Mitleidenschaft ziehen kann, wie zum Beispiel derzeit Ostafrika. Banken scheuen dieses Risiko. Ein staatlich unterstütztes Dürre-Versicherungssystem kann ihnen an besonders riskanten Standorten den Markteinstieg ermöglichen. Dafür reicht oft das Absichern von zehn Prozent der Kreditsumme. Einrichtungen wie die Weltbank, die afrikanische Entwicklungsbank oder die KfW können bei dieser Aufgabe eine wichtige Rolle spielen, gerade in den ärmsten Entwicklungsländern.
Für wie lange?
Mittelfristig brauchen wir noch staatliches Engagement, auch von internationalen Institutionen. Allerdings ist auch in Afrika der Bankensektor durch die Digitalisierung in einem tiefgreifenden Umbruch. Völlig neue Modelle wie Crowdfunding und Crowdfinancing entstehen und eröffnen attraktive Chancen für kleine, kreative Unternehmen. Langfristig werden lokale Banken die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten übernehmen können. Genaue Zeitangaben lassen sich bei solchen Entwicklungen allerdings nicht machen.
Sie sprachen von Technik als dem dritten wichtigen Gestaltungselement. Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen sie das Trinkwasser und Abwasserproblem. Nachhaltige Wirtschaft im ländlichen Raum erfordert Zugang zu sauberem Trinkwasser. An vielen Orten gehen Menschen aber noch in den Busch oder benutzen unhygienische Latrinen, um sich zu entleeren. Das belastet das Trinkwasser, verbreitet Krankheiten und ist eine Vergeudung von Ressourcen. Denn mit dem Kot lässt sich sehr Intelligentes anstellen: Man kann Fliegenlarven oder Würmern seine Verarbeitung überlassen und die fett gefressenen Insekten dann an Hühner verfüttern. Das ist eine Hightech-Frage: Welche Larve oder welcher Wurm eignet sich am besten und lässt sich dann leicht verfüttern? Getrocknet oder frisch?
Und, welcher ist es?
Es gibt ein ganzes Institut in Nairobi, das icipe (International Centre of Insect Physiology and Ecology), das sich mit dieser Art Insekten beschäftigt. Auf deren Webseite (www.icipe.org), finden Sie spannende Viecher, die sie noch nicht kennen gelernt haben und vielleicht auch gar nicht kennen lernen wollen.
Zeichnen Sie uns bitte ein optimistisches Zukunftsszenario: Wie sieht das ländliche Afrika in dreißig Jahren aus?
Hungerkrisen wie sie zurzeit in Ostafrika von einer Mischung von Dürre und gewalttätigen Konflikten hervorgerufen werden gehören dann der Vergangenheit an. Der ländliche Raum Afrikas findet den Anschluss an den Rest der Welt. Nicht nur an die nächste Stadt oder Hauptstadt. Der ländliche Raum erscheint dann gar nicht mehr ländlich, sondern ist eine Ansiedlung von wirtschaftlichen Aktivitäten, wo Menschen gerne leben, wo sie digital angeschlossen sind, wo Luft und Wasser sauber sind. Und wo mit Ackerland und Wäldern produktiv gearbeitet wird. Auf der anderen Seite wird die Stadt viel ländlicher, grüner. Auch dort werden natürliche Ressourcen genutzt. Die Chance zur Entwicklung ist vor allem dann verwirklicht, wenn das Bildungssystem bis aufs Land hinaus reicht zu Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen, die sich weiterbilden wollen. Über digitale Plattformen wird dies kostengünstig möglich sein. In dreißig Jahren ist dann der Unterschied zwischen Stadt und Land fließender geworden und alle afrikanischen Länder sind aus der Armut in der Gruppe der Länder mit Mittlerem Einkommen aufgestiegen.