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Wie marginalisierte Gemeinschaften in Food-Governance-Prozesse einbezogen werden könnten - eine Zusammenfassung der Ergebnisse einer digitalen und partizipativen Studie des SLE.
COVID-19 verschärft die Hungerkrise und lässt auf der ganzen Welt neue Hungerepizentren entstehen. Da die Eindämmungsmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus in Südafrika negative Auswirkungen auf die dortige Ernährungssicherheit haben, wurde das Land im Juli 2020 von der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam als „Hungerhotspot“ bezeichnet. Weitere relevante Organisationen wie die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen), IPES Food (Internationales Expertenpanel für nachhaltige Lebensmittelsysteme) sowie FIAN (FoodFirst Informations- und Aktionsnetzwerk) machten zudem darauf aufmerksam, dass sich die weltweite Hungerkrise seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie verschärft hat. Obwohl die Ernährungssicherheit in Südafrika landesweit gesehen statistisch gewährleistet ist, hat das Land mit Hunger zu kämpfen, insbesondere in Bevölkerungsgruppen, die seit jeher marginalisiert sind. Dieser Artikel beleuchtet die wichtigsten Erkenntnisse einer Studie, die im Rahmen des Postgraduiertenprogramms des SLE zu den Auswirkungen der COVID-19-Bekämpfungs-maßnahmen auf die Ernährungssicherheit in den marginalisierten Gemeinschaften von Südafrika durchgeführt wurde. In diesem Zusammenhang werden die Relevanz dieser Gemeinschaften bei der Gestaltung der Food-Governance-Prozesse bewertet und mögliche Entwicklungswege für solche Prozesse aufgezeigt. Die Studie war Teil eines Projekts, das von zwei südafrikanischen Produzentengruppen in Auftrag gegeben wurde: von Weskusmandjie, einem Zusammenschluss von Fischerinnen aus St. Helena Bay, und dem Urban Farmer Research Club of Cape Town, einer Gruppe städtischer Landwirtinnen und Landwirte, die im Stadtgebiet von Kapstadt Gartenbau betreiben.
Laut dem High-Level Panel of Experts (HLPE, hochrangiges Expertenpanel für Ernährungssicherheit und Ernährung) ist Ernährungssicherheit dann gegeben, wenn „jeder Mensch zu jeder Zeit physischen, sozialen und wirtschaftlichen Zugang zu ausreichender, gesundheitlich unbedenklicher und ernährungsphysiologisch ausgewogener Nahrung hat, um so seine Ernährungsbedürfnisse und Lebensmittelpräferenzen befriedigen und ein aktives und gesundes Leben führen zu können“ (HLPE, 2020). Zunächst muss ein Ernährungssystem produktiv und erfolgreich sein, um die Verfügbarkeit ausreichender Mengen an Nahrung sicherzustellen. Es muss gerecht und inklusiv sein und allen Menschen Zugang zu dieser Nahrung garantieren. Es muss gesunde und nahrhafte Lebensmittel hervorbringen, um die Nährstoffaufnahme und -verwertung zu sichern, und ausreichend robust sein, um in Krisenzeiten Stabilität zu gewährleisten. Des Weiteren muss es die Selbstbestimmung aller Menschen und Gruppen stärken und ihre Handlungsfähigkeit fördern, damit sie das Ernährungssystem durch gemeinsame Entscheidungsfindung und Umsetzung aktiv mitgestalten können. Schließlich muss ein solches System auch regenerativ sein, um Nachhaltigkeit in allen Dimensionen sicherzustellen.
Die Studie diente der Analyse von Problemen im Zusammenhang mit der Ernährungssicherheit. Da die Postgraduierten des SLE aufgrund der COVID-19-Beschränkungen nicht ausreisen konnten, wurde eine digitale Methode entwickelt und umgesetzt. Infolgedessen arbeitete das Team mit Co-researchern vor Ort zusammen, also Mitgliedern der lokalen Gemeinschaften, die aktiv in den partizipativen Forschungsprozess eingebunden sind. Sie haben dem Projekt einen Rahmen gegeben, die Datenerhebung organisierten und das SLE-Team bei der Kontextualisierung der Ergebnisse unterstützt. Die langjährigen Partnerschaften des SLE mit den Gemeinschaften vor Ort spielten eine wesentliche Rolle bei der Erreichung folgender Studienziele:
Um diese Ziele zu erreichen, entwickelte das Team eine Haushaltsumfrage, befragte Expertinnen und Experten, organisierte Food Mapping und unterstützte die Durchführung digitaler Teammeetings. Mit einem Stichprobenumfang von 1.474 Haushalten in Cape Flats, einem Stadtteil von Kapstadt, ist die Umfrage statistisch repräsentativ und weist ein Konfidenzniveau von 95 Prozent auf. Die Stichprobe aus St. Helena Bay umfasst 350 Haushalte und ist mit einem Konfidenzniveau von 95 Prozent ebenfalls repräsentativ.
Die Lage der Ernährungssicherheit wurde anhand von FIES (Food Insecurity Experience Scale), eines von der FAO entwickelten Indikators der Ernährungsunsicherheit, gemessen. Die Ergebnisse offenbarten, dass zwischen September und November 2020 34,1 Prozent der Haushalte ernährungssicher, 11,9 Prozent geringfügig ernährungsunsicher, 23,4 Prozent moderat ernährungsunsicher und 30,6 Prozent stark ernährungsunsicher waren (Abbildung). Gugulethu hat die höchste Prävalenz von stark ernährungsunsicheren Haushalten (45 Prozent), dicht gefolgt von St. Helena Bay und Khayelitsha (42 und 36 Prozent). Die ernährungssichersten Bezirke sind Mfuleni (58 Prozent) und Mitchell’s Plain (65 Prozent). Wenn man die Schätzungen der moderat und stark ernährungsunsicheren Haushalte gemeinsam betrachtet, weist St. Helena Bay den höchsten Gesamtanteil an ernährungsunsicheren Haushalten (90 Prozent) auf.
Die Studienergebnisse zeigten zudem auf, dass Haushalte, deren Mitglieder während der Pandemie an Ernährungsunsicherheit leiden, mehrere gemeinsame Merkmale aufweisen. So ist Ernährungsunsicherheit zum Beispiel häufiger mit einem großen Haushalt (mit fünf oder mehr Mitgliedern) assoziiert, ebenso wie mit Haushalten, denen Frauen vorstehen. Weiterhin stellte sich interessanterweise heraus, dass die im Lebensmittelsektor tätigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer unabhängig von ihrem Tätigkeitsbereich (Produktion oder Verkauf) und ihrem offiziellen Status signifikant ernährungsunsicherer sind als solche Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die nicht mit dem Lebensmittelsektor in Berührung kommen. Nichtsdestotrotz sind arbeitslose Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Umfrage jedoch am stärksten von Ernährungsunsicherheit betroffen und beziehen infolgedessen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Nahrungsmittelhilfen. Mehr als 50 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Umfrage sind arbeitslos, doch nur 17 Prozent von ihnen haben während der ersten Monate des Lockdowns von der Regierung oder einer Organisation der Zivilgesellschaft Nahrungsmittelhilfen erhalten (März bis Juni 2020). Infolge des Einkommensverlusts aufgrund der COVID-19-Beschränkungen, des geschlossenen informellen Sektors und der strikten Ausgangssperre waren betroffene Haushalte laut der Studie auf Spenden von der Familie und Nachbarn angewiesen und mussten sich Lebensmittel borgen sowie die Anzahl der verzehrten Mahlzeiten reduzieren.
Im Rahmen des Forschungs- und Triangulationsverfahrens zur Erörterung, Analyse und Kontextualisierung dieser Ergebnisse sprachen sich die Mitglieder der Gemeinschaften für die Einführung von Ernährungsräten aus, welche ihnen eine aktivere Mitgestaltung der Food-Governance-Prozesse ermöglichen würden. Die südafrikanische Regierung hat einen nationalen Plan für Ernährungs- und Nahrungsmittelsicherheit (National Food and Nutrition Security Plan 2017–2022) entwickelt, der die Gründung eines bereichsübergreifenden Ernährungsräte auf nationaler Ebene vorsieht. An diesem Gremium sollen mehrere Stakeholdergruppen mitwirken, auch auf Provinz- und Bezirksebene. Die Gremien für Ernährungspolitik werden Programme und Dienstleistungen rund um die Ernährungs- und Nahrungsmittelsicherheit auf kommunaler Ebene überwachen, koordinieren und abwickeln. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass eine kritische Transformation der Ernährungssysteme notwendig ist, um den marginalisierten Gemeinschaften die Möglichkeit zu geben, aktive Mitwirkung in diesen Systemen und an der Gestaltung der sie einschränkenden Vorschriften zu fordern. Mit anderen Worten: Die Ernährungssysteme sollen Handlungsfähigkeit ermöglichen.
Die Befürwortung von Ernährungsräten beruft sich auf das Recht auf Nahrung, das jeder Person entweder allein oder als Teil einer Gemeinschaft zusteht, d. h. auf einen jederzeit sicherzustellenden physischen und wirtschaftlichen Zugang zu ausreichenden, gesundheitlich unbedenklichen und ernährungsphysiologisch ausgewogenen Lebensmitteln, die nachhaltig produziert und konsumiert werden und somit auch die Versorgung kommender Generationen gewährleisten. Die Implementierung solcher Gremien wäre eine wirksame Reaktion zugunsten marginalisierter Gemeinschaften, die von der Politik keine Unterstützung erhalten, indem Mitglieder dieser Gemeinschaften dazu befähigt würden, mit den für die Ernährungs- und Nahrungsmittelsicherheitspolitik zuständigen Regierungsvertretern in Kontakt zu treten. In einem Forschungsgebiet wie Western Cape, und insbesondere in Kapstadt selbst, bieten Dialoge zum Thema Ernährung und Workshops mit mehreren Akteuren zahlreichen Mitwirkenden des Ernährungssystems die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. Gleichzeitig äußern sich immer mehr Produzenten und Fischereigemeinschaften zu ihrer Abwesenheit bei solchen Dialogen und machen darauf aufmerksam, dass die Gespräche über sie, aber nicht mit ihnen geführt werden.
Die COVID-19-Pandemie deckte auf der einen Seite die Fragilität der Ernährungssicherheit und auf der anderen Seite den Bedarf nach lokalen und spezifischen Ernährungslösungen und gesellschaftlichem Engagement auf. Um diese Herausforderungen angehen zu können, ist die Entwicklung einer kollaborativen Governance-Struktur entscheidend. Ferner ist eine grundlegende Infrastruktur erforderlich, die Versammlungsräume, Kommunikations- und Transportmittel, Koordination, gegenseitigen Austausch und Vertrauen umfasst. Damit die Bürgerinnen und Bürger eigenhändig Änderungen vornehmen können, muss unseren Einschätzungen zufolge dringend ein organisierter und gegenseitig vereinbarter Veränderungsprozess stattfinden, welcher auf gemeinsamen Erkenntnissen im Hinblick auf das jeweilige lokale Ernährungssystem einschließlich seiner Treiber, unterstützenden Systeme und Spannungsbereiche aufbauen sollte. Ein solcher von der Gemeinschaft angetriebener und auf die Entwicklung von Kapazitäten ausgelegter Prozess könnte mit der Unterstützung von Aktivistinnen und Aktivisten, hinzugezogenen Forschenden und gesellschaftlichen Bewegungen Innovationen im Ernährungssystem auf lokaler Ebene fördern. Das Potenzial liegt dabei in der Stärkung des gesellschaftlichen Engagements sowie in der Vermittlung fundierter Fachkenntnisse, damit Gemeinschaften in der Lage sind, staatliche Eingriffe infrage zu stellen. Eine notwendige Voraussetzung scheint die Schaffung eines Raums für gesellschaftliches Engagement in Ernährungssystemen und infolgedessen auch in der Entwicklung gemeinschaftlich gesteuerter Lösungen zur Handhabung der Ernährungsunsicherheit zu sein.