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Beim Nachhaltigkeitspodcast “Vom Feld ins Regal“ fordert Marie Nasemann neue Anläufe zum Durchbruch von fairer Mode. Ein Abend über verbrannte Retouren, filterlose Waschmaschinen und viel Luft nach oben.
Nichts erinnert in diesem würfelförmigen Solitärbau an das Rana Plaza, und dennoch ist der Stahlbetonskelettbau in Sabhar, Bangladesch, ganz nah. Die Kantine der Tageszeitung „taz“ in Berlin ist 7000 Kilometer von jenem achtstöckigen Fabrikkomplex entfernt, der 2013 zusammenfiel und 1136 Menschen das Leben nahm; die meisten waren Textilarbeiterinnen. Wie ein Menetekel fällt „Rana Plaza“ in den Gesprächen immer wieder heute Abend – bei der Live-Aufnahme-Veranstaltung des GIZ-Podcasts „Vom Feld ins Regal“ im Rahmen der Fairen Woche 2022. Der Podcast wird von der Initiative für nachhaltige Agrarlieferketten, im Auftrag von dem Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, veröffentlicht. „Wir müssen erreichen, dass alle von ihrer Arbeit in Würde leben können“, legt Moderator Max-Johannes Baumann von der GIZ kurz vor Beginn der Aufzeichnung die Messlatte an. Es ist die 70. Folge, die erste live und vor Publikum, eine von rund 2000 Veranstaltungen und Aktionen während der Fairen Woche.
Seit 2003 gibt es sie jedes Jahr in der zweiten Septemberhälfte, es ist die größte Aktionswoche zu fairem Handel in Deutschland, veranstaltet vom Forum Fairer Handel e.V. gemeinsam mit dem Gütesiegelvergeber Fairtrade Deutschland e.V. und dem Weltladen-Dachverband e.V. Das diesjährige Motto „Fair steht dir #fairhandeln für Menschenrechte weltweit“ beschäftigt sich mit menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und nachhaltigem Wirtschaften in der Textil-Lieferkette. Noch immer gilt die Textil-Lieferkette als extrem anfällig für Menschenrechtsverletzungen und Umweltprobleme. Unbezahlte Überstunden, ein Lohn, der nicht zum Leben reicht und fristlose Kündigungen sind nur ein Teil der Problematik. Schnell wechselnde Kollektionen und Modetrends, niedrige Preise und Fast Fashion kommen hinzu und erhöhen den Druck auf Näher*innen im Globalen Süden, die innerhalb kürzester Zeit Massen an Kleidung produzieren.
Wie geht man damit um? Der Anteil fair produzierter Kleidung am Welthandel ist winzig. Der Saal im Erdgeschoss der taz-Kantine ist voll, und dennoch schwingt an diesem Abend stets die Frage mit, wie man aus dieser Blase rauskommt. Lara Heinz und Thilo Liedlbauer vom Podcast stellen sie auch ihrer Gästin. „Mode wird als unbedeutend und oberflächlich abgetan“, antwortet Marie Nasemann, „die Infos müssen in der breiten Masse Zugang finden.“ Nasemann, 33, ist Model, Schauspielerin, Autorin und ebenfalls Podcasterin. Bloggen kommt auch noch hinzu – und fairknallt.com, eine von ihr betriebene Informationsplattform zu Fair Fashion. Im Grunde ist Nasemann: Aktivistin. Abseits des Podcasts wird sie sich zu einem Gespräch mit unserer Website zusammensetzen:
Bräuchte es so etwas wie Fridays for Future für Fair Trade?
Marie Nasemann: Ich würde tatsächlich gern mehr Marken ans Bein pinkeln.
Aber wie?
Über meinen Instagram-Account. Es ist toll und wichtig, auf die Straße zu gehen. Aber mit einem Post erreiche ich mehr Menschen als vielleicht mit einer Demo. Online kann man schnell viele Menschen aufklären und auf Missstände hinweisen und im Zweifelsfall mitgeben, was verbessert werden könnte.
Also sich nicht in einem Modehaus ankleben?
(Sie lacht.) Also, so radikal werde ich nicht werden. Nichts Illegales und keine Gewalt, sondern Aufklärung. Gut recherchierte Fakten – und die unterhaltsam rüberbringen. Mal gucken, wohin die Reise geht.
Sehen Sie es kommen, dass die Fair-Trade-Bewegung radikaler wird? Die Klimabewegung fing auch mal mit Aufklärung an.
Ich bin total für mehr Verbote. Es geht nicht anders, wir haben es lange genug ohne sie probiert. Der Staat muss den Unternehmen und damit den Konsument*innen mehr vorschreiben. Irgendwie muss dieser Konsumwahnsinn in der Mode aktiv eingeschränkt werden.
Die Ausgangslage klingt niederschmetternd. 14,8 Kilogramm Textilien kauft jede EU-Bürgerin und jeder EU-Bürger im Jahr. Zwischen 2000 und 2015 hat sich der Konsum von Kleidung weltweit verdoppelt. Mehr, schneller und bloß günstig – „das funktioniert nur, weil so viele Leute darunter leiden“, sagt Nasemann.
„In Dhaka beträgt der Mindestlohn 77 Dollar“, sagt sie über den Ort, in dessen Nähe das Rana Plaza stand. „Es gibt Kinderarbeit, weil sie sonst nicht überleben würden.“ Es geht auch anders. Im Kleinen machen Aktive im Vorraum der Veranstaltung vor, wie fair geht. Auf einem Tisch stehen Schüsseln mit Nüssen, Cashew mit Rosmarin oder Chili, Macadamia. „Wir kaufen direkt ein“, sagt Celina Böger von der Fairhandel-Initiative „Gebana“, die 26-Jährige steht neben dem Tisch und bietet eine Tüte mit Nüssen an. „Wir verkaufen auch Frischobst – letztes Jahr bewarben wir besonders Orangen, weil immer mehr griechische Bauern sich uns anschließen wollten; immerhin verdienen sie mit uns das Dreifache.“ Auf ihrem schwarzen T-Shirt steht gelb: „we are changing the rules“. Was mit Nahrungsmitteln schon besser klappt, hapert noch bei Mode. „Haben Verbraucher nicht auch eine Verantwortung?“, fragt Thilo Liedlbauer. Und Lara Heinz: „Beim Essen ist uns das auch früher bewusst geworden.“ Die Konzerne würden viel verschleiern, erwidert Nasemann. „Es ist sehr kompliziert, zu begreifen, was nachhaltig ist.“ Nur sehr wenige Brands gebe es, „die alles super richtig machen, die kann ich an einer Hand abzählen“.
Wie kamen Sie zu diesem Thema?
Marie Nasemann: 2013 stürzte die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch ein, mit über 1100 Toten. Vorher war ich absolutes Fashionvictim und -alcoholic, war süchtig nach Shoppen. Als ich dann im Fernsehen die Bilder vom Einsturz sah, ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen: Nee, ich kann so nicht weitermachen und die Branche weiter befeuern. Habe mein Shoppingverhalten erstmal ein- und dann umgestellt. Dann kam die Idee mit dem Blog.
Der Blog setzt viel auf positive Impulse. Läuft es nicht dennoch darauf hinaus, dass sich die Leute schließlich mehr verzichten müssen?
Ich denke schon. Jetzt geht es noch so. Aber irgendwann nicht mehr. Dann sollte der Verzicht besser früher kommen und dann nicht so extrem, wie er vielleicht in 20 Jahren sein muss. Die Pandemie hat gezeigt, dass wir alle uns einschränken und verzichten können. Warum sollten wir es nicht auch für den Planeten können?
Auf der anderen Seite haben wir eine steigende Inflation. Könnte dies ein Klima bereiten, wo ein „Geiz ist geil“ mehr en vogue ist? Wäre das nicht Gift für nachhaltige Kleidung, die teurer ist?
Das ist schwierig. Dennoch glaube ich: Wenn man weniger kauft, kann man sich auch teurere und qualitativ hochwertigere Kleidung leisten. Das macht langfristig auch mehr Freude als ein schneller Shoppingkick.
Kann das Jede und Jeder machen?
Ja, würde ich schon sagen.
Es ist eine blöde Frage, aber dann werden an dieser Stelle immer die einkommensschwachen Bürger erwähnt.
Natürlich dürfen die weiterhin zu H&M und Zara gehen. Aber sie machen nicht das Problem aus. Das sind vielmehr Jene, die viel zu viel kaufen und ständig die Mode in ihren Schränken auffüllen. Es geht nie darum, dass Leute nichts zum Anziehen haben, sondern darum, wie viel man kauft.
Celina Böger von Gebana schaut entschlossen. Verändert sie etwas? „Ich glaube schon, jede und jeder muss einfach anfangen. Möglichkeiten gibt es.“ Sie selbst hatte nachhaltige Wirtschaftswissenschaft studiert, ihre Masterthesis über Direkthandel geschrieben und so Gebana kennengelernt. Drinnen erzählt Nasemann, dass jegliche Retour eines Onlinekaufs direkt verbrannt werde, wie schwierig Flohmarktverkäufe von Kleidung im Schatten der Billigschwemme sei; dass Hersteller endlich dazu gezwungen werden sollten, Filter in ihre Waschmaschinen einzubauen – ansonsten gelange unzählige Mikroplastik der Polyestertextilien in den Kreislauf zurück. Und: „Wohnungen und Autos werden geteilt. Warum nicht Kleidung?“ Draußen erzählt eine Frau aus Südamerika: „Wenn wir auf eine Party gehen, leiht man sich dafür schon mal was bei Geschäften aus. Besitz ist schlicht zu teuer, und es geht auch so.“
Sie sagen, die Politik solle die Rahmenbedingungen ändern. Sehen Sie eine Bewegung?
Marie Nasemann: Immerhin gibt es jetzt das Lieferkettengesetz. Aber es braucht Druck, damit es konsequenter wird und auch kleinere Unternehmen betrifft – die ganze Lieferkette. Ich weiß nicht, wie man das erreichen kann, ohne selber in die Politik zu gehen.
Eine Option für Sie?
Die Unterhaltungsbranche gefällt mir doch mehr. Man muss eben so wählen, dass dann an den Schaltstellen Leute sitzen, die auf dem Schirm haben, was all diese Entscheidungen für die Zukunft bedeuten.
Und erkennen Sie Veränderungen bei der Wirtschaft?
Unternehmen geht es auch darum, dass sie noch in 20 oder 30 Jahren funktionieren. Das werden sie nur, wenn sie sich überlegen, wie sie nachhaltig agieren können. Leider ist unser Wirtschaftssystem darauf aufgebaut, immer mehr und mehr zu haben – dass jedes Unternehmen zu wachsen hat. Ist dieses System für unseren Planeten verträglich? Aber in der Politik ist nie Zeit und Raum, um sich mal diesen großen Fragen zu widmen.
Zeit und Raum werden in Zukunft nicht mehr werden…
…das stimmt. Deshalb Verbote und Gesetze! Sie lacht. Einfach durchpressen. Muss wohl sein.
Wenn Sie den Elan von 2013, als Sie anfingen, mit dem von heute vergleichen: Ist er größer oder kleiner geworden?
Es ist schon etwas weniger geworden, durch meine beiden Kinder, die ich in den letzten drei Jahren gekriegt habe. Das hat natürlich für mich eine große Priorität. Aber schon jetzt, da sie älter werden, ergreife ich wieder mehr die Gelegenheit, mich für Nachhaltigkeit zu engagieren. Außerdem bin ich gerade durch meine Kinder motiviert, etwas zu verändern. Ich will, dass sie in einer intakten Welt aufwachsen.
Spüren Sie, dass Sie etwas bewegen können?
Ich bin ein ganz, ganz, ganz kleines Rädchen. Die Arbeit, die ich mache, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber ich will wenigstens irgendetwas tun. Wenn mich meine Kinder später mal fragen, „was hast du eigentlich dafür getan“, dann will ich eine Antwort haben.
Die Leinwand auf der Bühne tragt das Logo „#ICH WILL FAIR“, es klingt trotzig, als würde das Motto der Fairen Woche „Fair steht dir“ zu „Versteht ihr?“. Die Probleme, resümiert Lara Heinz, werden nicht kleiner. Als der Podcast endet und Musik durch die Lautsprecher strömt, strahlt ein Scheinwerfer die einzige Diskokugel an, die an der Decke hängt. Plötzlich sieht sie aus wie ein Globus, auf dem Berlin und Sabhar winzige Kristallscherben sind, in dieser einen Welt.
Die Podcast-Folge „Fast Fashion und "Fair steht dir" - Live Podcast mit Marie Nasemann zur Fairen Woche“ hier hören.