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Die Bundesregierung ringt um ein Lieferkettengesetz. Verletzungen von Menschenrechten sollen damit angegangen werden. Was wären die Folgen für die Wirtschaft? Ein Doppelinterview mit Veselina Vasileva von GEPA und dem Wirtschaftsprofessor Andreas Freytag.
Herr Professor Freytag, was spricht gegen Sorgfaltspflichten bei Menschenrechten, Umwelt- und Sozialstandards?
Prof. Andreas Freytag: Nichts. Natürlich ist es richtig, dass Unternehmen Sorgfaltspflichten beachten. Aber wozu so etwas gerichtsfest vorschreiben? Von mir aus ist nichts zu ändern, da liegt also die Beweislast bei Frau Vasileva.
Veselina Vasileva: Momentan haften deutsche und international tätige Unternehmen nicht für Menschenrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Umwelt- und Sozialauflagen entlang der Lieferketten im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit. Es ist höchste Zeit für ein level playing field und ein Gesetz, dass die Bemühungen von Unternehmen anerkennt, die Fairen Handel betreiben oder sich bereits auf den Weg zum fairen Wirtschaften gemacht haben. Ein Lieferkettengesetz in Deutschland würde außerdem Rechtssicherheit schaffen und die deutschen Unternehmen dazu motivieren, entsprechende Investitionen zu tätigen. Dies tun die meisten nur wenn auch ihre Wettbewerber dazu angehalten sind dies zu tun. Gesetzliche Regularien können wichtige Impulse setzen, damit Unternehmen Menschenrechte und Umweltstandards umsetzen
Brauchen Unternehmen solche Motivationen? Und wenn es eine Sorgfaltspflicht gibt, warum dann keine gerichtsfeste?
Freytag: Es ist ja die Frage, für welches Unternehmen solch ein Gesetz gelten würde, mit Sicherheit auch für Investoren…
Vasileva: Wir haben in Deutschland 3,5 Millionen Unternehmen, davon sind 3,1 Millionen Kleinunternehmen mit unter zehn Mitarbeitern – all diese fallen nicht unter dieses Gesetz. Wenn der bisherige Vorschlag von BMAS und BMZ für Unternehmen ab 500 Mitarbeitern geltend gemacht wird, beträfe dies 7000 Unternehmen in Deutschland.
Freytag: Also, ein Investor unterwirft sich erstmal den Regeln des Gastlandes. Sie unterstellen, dass dieses Land keine Regeln hat. Warum sollten wir unser Rechtssystem anderen Ländern oktroyieren? Das ist paternalistisch und von oben herab.
Vasileva: Ich möchte indes in Erinnerung rufen, in welchem Handelssystem wir uns befinden. Die globale Wettbewerbssituation und der Mangel an Rechtsstaatlichkeit machen es vielen so genannten Entwicklungsländern nicht möglich, international geltendes Recht einzuhalten. Die Liste der fragilen Staaten, die nicht für ihre Bürger sorgen können, ist lang. Das Lieferkettengesetz fußt auf international anerkannten Menschenrechtskatalogen. Es geht also nicht um eine paternalistische Auferlegung von deutschem Recht, sondern um die Unterstützung von Unternehmen, die Menschenrechte entlang ihrer Lieferketten einzuhalten – das ist nicht zu viel verlangt. Es geht um die schrittweise Einleitung von angemessenen Maßnahmen zur Risikominderung im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit, das ist keine Zusatzverantwortung. Die Praxis hat gezeigt, dass freiwillige Maßnahmen jahrelang nicht ausgereicht haben, um Selbstverständliches zu realisieren.
Freytag: Ich sehe nicht, dass deutsche Unternehmen flächendeckend die Menschenrechte nicht einhalten – hierfür fehlt mir schlicht ein Beleg. Die Frage ist doch: Was können Unternehmer tun, und wo haben sie Zugriff? Den haben sie in den Unternehmen, die sie selbst verantworten, und dort sind sie prinzipiell für Menschenrechte. Auch vertraue ich auf die Konsumenten. Wir können viel machen, ohne dass es neue Regeln braucht. Der Staat sollte den deutschen Unternehmen lieber helfen, dort tätig zu werden und Gutes zu tun – das geht zum Beispiel über mehr Investitionsgarantien, die großzügiger erteilt werden könnten. Solche Garantien wie auch Exportkredite können von mir aus gerne an Belege hinsichtlich der Sorgfaltsplichten gekoppelt werde – schließlich wollen die Unternehmen staatliche Unterstützung und Vorzugsbehandlung. Übrigens sind Probleme von Failed States schwer von außen zu lösen, deren Probleme sind meist hausgemacht. Was heißt das also für die Unternehmen? Die meisten sind mittelständisch, und da würde ein bürokratischer Wust auf sie kommen, wenn sie für die gesamte Lieferkette bürgen sollen.
Was ist daran kompliziert?
Freytag: Zahlreiche dieser Mittelständler produzieren Güter mit langen Lieferketten, da sind bis zu 100 Schritte nötig – wollen Sie die alle nachvollziehen? Dass alles nach deutschen Maßstäben passiert?
Vasileva: Nicht nach deutscher, sondern nach internationaler Rechtsprechung, wie zum Beispiel der internationalen Menschenrechtscharta, den ILO Kernarbeitsnormen. Als Vertreterin eines KMUs kann ich Ihnen sagen, dass die Einhaltung der Menschen- und Umweltrechte auch für KMUs möglich ist. Eine Überforderung sehe ich an der Stelle nicht. Insbesondere deutsche KMUs sind für ihre herausragende Qualität bekannt, haben ein umfassendes Qualitätsmanagementsystem. Die kennen ihre Lieferketten und wissen genau, was dort geschieht. Auch hier gilt das Angemessenheitsprinzip: Die von den Unternehmen einzuführenden Sorgfaltsverfahren sollen entsprechend ihrer Größe und ihren Umständen angemessen sein. In einigen Fällen reichen bereits einfache Maßnahmen, um Missstände in Lieferketten zu beheben
Freytag: Das hört sich ja so an, als ob die deutschen Mittelständler gegen besseres Wissen die Menschenrechte verletzen. Das ist nicht der Fall. Deshalb halte ich mehr davon, darauf zu vertrauen, dass durch deutsches Engagement vor Ort etwas abstrahlt. Wir haben dasselbe Ziel.
Vasileva: Ich gehe grundsätzlich von einem positiven Bild vom Unternehmertum, und dass Unternehmen Gutes tun wollen. Aber der derzeitige Wirtschaftsrahmen ist extrem unfair. Der Wettbewerb ist sehr stark und der Preisdruck groß. Dieser wird entlang der Lieferkette an die schwächsten Glieder weitergegeben. Für es gut meinende Unternehmen macht es dieser Rahmen schwierig. Es ist ein steter Spagat, im Geschäft Menschenrechts- und Umweltstandards einzuhalten, die übrigens nicht deutsch, sondern international definiert sind. Also brauchen wir eine motivierende Lenkungsfunktion des Gesetzgebers.
Ein Gesetz würde nicht nur motivieren, sondern auch im Zweifel bestrafen.
Vasileva: Es würde nicht von heute auf morgen wirken, der Vorschlag vom BMAS und vom BMZ sieht eine Übergangsfrist von drei Jahren vor. Unternehmen müssen nach dem Lieferkettengesetz nur für eigenes Verschulden und für vorhersehbare und vermeidbare Schäden haften. Es gilt der risikobasierte Ansatz. Erstmal sollen die schwersten Verletzungen analysiert und priorisiert werden, mit verhältnismäßigen Maßnahmen in Schritten als Folge.
Freytag: Ich stelle es mir sehr schwer für jedes Unternehmen vor, für jedes Endprodukt nachzuvollziehen, wie jede Stufe bei dieser Lieferkette war. Diese Prüfung ist ein unglaublicher Aufwand.
Könnten sich Unternehmen für Überprüfungen zusammenschließen?
Freytag: Das könnten sie. Aber andere Punkte sind mir wichtiger: Der wohlmeinende Staat, der die Leute zum guten Handeln hinführt – das hört sich alles gut an. Bildet dies aber die Lebensrealitäten von Unternehmen und von den Menschen vor Ort ab? Werden sich deutsche Unternehmen möglicherweise aus diesen Ländern zurückziehen, weil sie dann das Risiko für zu hochhalten? Deutsche Unternehmen sind schon jetzt in Afrika kaum präsent. Und wenn die dann wegbleiben, kommen andere – zum Beispiel aus China. Das Land nutzt seine neue Seidenstraße zur Einflussnahme: Chinesische Unternehmen breiten sich in Afrika aber auch anderswo aus, und sie sind nicht dafür bekannt, dass sie die Menschenrechte einhalten. Schärfere Regeln hier würden also zu eher mehr Menschenrechtsverletzungen dort führen. Es wäre ein gesinnungsethisch motiviertes Gesetz, das aus verantwortungsethischer Sicht abzulehnen ist.
Ist es denn anzunehmen, dass sich Unternehmen wegen rechtlichen Unsicherheiten zurückziehen würden?
Freytag: Dies wird von der Wirtschaft als Sorge vorgetragen. Ich höre dieses Argument immer wieder. Es ist auch nachvollziehbar.
Vasileva: Mehrere Studien belegen, dass im Wesentlichen andere Kriterien eine Investitionsentscheidung beeinflussen, zum Beispiel politische Instabilität oder Korruption.
Freytag: Deutsche Unternehmen motivieren ihre Direktinvestitionen zuvorderst mit Markterschließung. Es stimmt, dass die Risikobereitschaft deutscher Unternehmen eher geringer ist als in anderen Ländern. Ein Lieferkettengesetz würde diese Risiken vor Ort erhöhen. Steigende Risiken bedeuten steigende Grenzkosten und abnehmende Investitionsbereitschaft.
Vasileva: Wieso?
Freytag: Weil dann mehr Unsicherheiten bestehen in folgendem Sinne: Kann ich mich auch unabsichtlich an Regeln nicht halten, die ich gar nicht kenne und werde dann verklagt? Das ist ein hohes Risiko für Mittelständler.
Vasileva: Es gibt bisher keine Belege dafür, dass sich Unternehmen wegen Haftungsrisiken aus risikoreichen Regionen komplett zurückziehen. Einige sind auf die Rohstoffe angewiesen – z.B. wie Kakao und Kobalt, andere haben bereits umfassend in die Produktionsstandorte investiert. Gerade große Schokoladenunternehmen sind wegen Imageschäden daran interessiert, endlich ihre Lieferketten umzubauen und Kinderarbeit zu vermeiden. Sie scharren mit den Hufen. Seit 2017 gibt es ein Sorgfaltspflichtengesetz in Frankreich. Es kamen nur vereinzelte Klagen. Keiner würde den Aufwand einer Klage wagen, wenn diese nicht rechtsbasiert wäre. Die meisten Menschenrechtsverletzungen geschehen am Anfang der Lieferkette, etwa beim Rohstoffabbau. Daher muss die ganze Kette im Blickfeld sein.
Gibt es vielleicht nicht doch Risiken, dass Kleinstbäuer*innen etwa in afrikanischen Ländern verdrängt werden, weil sie Probleme mit der Standarderfüllung haben?
Vasileva: Beim Gesetz geht es nicht darum, einmal festgestellte Risiken sofort zu vermeiden. Stattdessen sollen Schritt für Schritt zumutbare und zweckmäßige Maßnahmen eingeleitet werden, soll ein Dialog in Gang gesetzt werden. Wenn die festgestellten Risiken nicht allein von den Unternehmen gelöst werden können, können sie mit Gewerkschaften und staatlichen Institutionen zusammenarbeiten, zum Beispiel bei sektoralen Tarifverträgen. Die Idee des Gesetzes ist es nicht, dass dann Verträge beendet werden.
Freytag: Aber der Gesetzentwurf von 2019 liest sich wie eine Generalanklage an deutsche Unternehmen und als Freibrief für Abmahnvereine zu einem neuen Geschäftsmodell. Ich hätte einen alternativen Vorschlag, wie wir die Menschenrechtsverletzungen zu Beginn der Lieferketten angehen könnten: Wir müssen unsere Handelspolitik ändern. Wir müssen dafür sorgen, dass ein größerer Teil der Wertschöpfung in Lieferketten in die rohstoffreichen Länder verlagert werden. Nach wie vor existiert eine Handels-politik, die mit der so genannten Zoll-Eskalation versehen ist. Zölle und andere Handelshemmnisse steigen mit dem Verarbeitungsgrad. Natürlich wollen die Unternehmen und Verbraucher die Rohstoffe so günstig wie möglich nach Deutschland kriegen, aber auch unsere eigene Weiterverarbeitung schützen. Die Bauern in Afrika werden übrigens regelmäßig von den Zwischenhändlern vor Ort ausgebeutet – da können wir noch so viel für Kakao und Kaffee bezahlen, bei den Bauern wird das nicht ankommen. Besser wäre aber, wenn der Kaffee in Afrika geröstet und die Schokolade in Afrika herstellt wird. Wenn wir das endlich zulassen wollen, muss sich die Handelspolitik der OECD-Länder ändern, auch wenn sie sich in den vergangenen Jahren schon verbessert hat.
Vasileva: Wir sind beieinander. Es gibt verschiedene Hebel, wie wir Menschenrechtsverletzungen in den globalen Lieferketten vermeiden können. Ein Lieferkettengesetz ist ein Schritt in diese Richtung. Und es gibt viele andere Ansätze, die gleichzeitig angegangen werden müssen. Wir sollten nach Maßnahmen suchen, wie wir eine Unternehmenskultur unterstützen und den globalen Rahmen zu einer sozialen und ökologischen Transformation herbeiführen. Das Prinzip des immer größer, schneller und preiswerter ist nicht zukunftsfähig. Das wissen wir alle. Gerade die aktuelle Corona-Pandemie bestätigt uns das, denn sie verstärkt Entwicklungen: Resiliente Lieferketten sichern die Zukunftsfähigkeit deutscher Unternehmen. Sie sind die Basis. Eine langfristige und partnerschaftliche Geschäftsbeziehung wie im Fairen Handel ist das A und O. Das Lieferkettengesetz würde dies unterstützen. Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des eigenen Wirkungsfeldes zu berücksichtigen ist von den deutschen Unternehmen nicht zu viel verlangt. Unternehmen tragen Verantwortung für die Menschen und die Umwelt auch vor Ort, wo sie und ihre Lieferanten tätig sind, auch wenn sie sich außerhalb von Deutschland befinden.
Freytag: Resiliente und nachhaltige Lieferketten wünscht sich natürlich gerade der Mittelständler in Deutschland. Deutsche mittelständische Unternehmen sind in dieser Hinsicht bereits vorbildlich, im Inland wie im Ausland. Daher sehe ich auch keine Notwendigkeit für ein Gesetz. Ich erwarte schlicht nicht, dass solch ein Gesetz lediglich zumutbare Tests zeitigen wird.
Was spricht dagegen, wenn man seine eigene Unschuld beweisen sollte?
Freytag: Keiner von uns dreien muss ständig seine Unschuld beweisen. Sind Unternehmer*innen prinzipiell anders?
Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass etwas bei uns schiefläuft. Das sieht bei den Lieferketten anders aus.
Freytag: Sicher? Hier klingt wieder der Generalverdacht durch. Wenn es Anhaltspunkte für ein menschenrechtswidriges Verhalten gibt, soll man tätig werden. Aber warum muss ich jemanden zwingen, prophylaktisch seine Unschuld zu beweisen?
Weil das bisher alles der Verbraucher entscheiden soll. Reicht das aus?
Freytag: Ich glaube schon an mündigen Verbraucher, sie benötigen nur die hierfür erforderlichen Informationen. Diese und der Verbraucherschutz müssen verbessert werden. Und das Unternehmerbild ist in der Öffentlichkeit negativ – und durch diese Vorverurteilungen verstärkte sich das noch. Wir müssen als Gesellschaft weniger voreingenommen auf Unternehmerinnen und Unternehmer blicken.
Vasileva: Unternehmertum ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Ich glaube nicht, dass ein Lieferkettengesetz verabschiedet wird, um den deutschen Unternehmen zu schaden. Im Gegenteil. In Deutschland gibt es doch schon mehr als 70 Unternehmen, welche die Lieferketteninitiative und eine verbindliche Haftung unterstützen. Die Verantwortung haben Unternehmen auch nicht allein– sie ist dreigeteilt zwischen ihnen, den Verbraucher*innen und dem Staat. Sich das klar zu machen, ist besser als die Verantwortung hin und her zu schieben.
Freytag: Die deutschen Firmen, die für solch ein Gesetz sind, haben verschiedene Motive. Die einen wollen klare Regeln, und andere wollen höhere Kosten für Konkurrenten: Das ist wie bei den westdeutschen Gewerkschaftlern, die 1990 in den Osten gefahren sind, um die Löhne dort so hoch zu schrauben, dass die ostdeutsche Industrie ihre Wettbewerbsfähigkeit endgültig verlor. Damit schützt man die Arbeitsplätze großer Unternehmen, weil damit ihre kleineren Konkurrenten stärker belastet werden – denn die Großen haben ohnehin schon den bürokratischen Aufwand. „Raising rival’s costs“ ist da die Devise.
Vasileva: Apropo geteilte Verantwortung, auch die großen Investoren schauen genau hin. Nachhaltigkeitsanforderungen sind im Finanzmarkt längst kein Nischenthema mehr. Nehmen wir zum Beispiel die Fondsgesellschaft Blackrock – die investieren in Unternehmen. Der Vorstandsvorsitzende hat die Geschäftsführer der Unternehmen dazu aufgerufen, ethisch, sozial und verantwortungsvoll zu wirtschaften.
Freytag: Das ist sehr erfreulich. Dann brauchen wir doch erst recht nicht den Gesetzgeber.
Vasileva: Es gibt aber auch sehr viele Unternehmen, die sich aus der Verantwortung zurückziehen, auf freiwillige Maßnahmen setzen und die Verantwortung auf Konsument*innen oder den Staat schieben.
Freytag: Wenn sie von Finanzierung abgeschnitten werden, weil ihr Verhalten von außen betrachtet den Menschrechten zuwiderläuft, nehmen sie die Verantwortung automatisch wahr. Die Einhaltung der Menschenrechte zu sichern, ist zunächst einmal eine staatliche Aufgabe. Mit einem Lieferkettengesetz drückt man den Unternehmen immer mehr Verantwortung für Aufgaben auf, die eigentlich des Staates sind. Und Regierungen in den Failed States können sich zurücklehnen.
Vasileva: Ohne Verbindlichkeit kommen wir nicht weiter, das sagt uns unsere Erfahrung als Unternehmen, das sich seit Jahrzehnten im Fairen Handel bewegt. Fast 3.000 Unternehmen sprechen sich für Haftung aus, etwa der Verband Unternehmensgrün, der 350 mittelständische Unternehmen vertritt, oder der europäische Markenverband AIM, der für rund 2.500 Unternehmen wie Beiersdorf, Dr. Oetker, Nestle, Nike und Puma spricht.
Freytag: Wie gesagt, das mag mit strategischen Überlegungen zu tun haben. Ich habe regelmäßig mit dem Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft zu tun, der sich für Investoren in und Exporteure nach Afrika einsetzt – und die schreien nicht laut nach einem Lieferkettengesetz. Die wollen nicht noch mehr Bürokratie.
Wird ein Lieferkettengesetz kommen?
Vasileva: Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung spricht davon, dass eine gesetzliche Regelung folgen soll, wenn sich der freiwillige Ansatz als nicht wirksam erwiesen hat. Der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte erwägt ein Gesetz, wenn bis 2020 weniger als 50 Prozent der großen Unternehmen die Anforderungen nicht erfüllen. Aktuell erfüllen weniger als 20 Prozent die Vorgaben. Das Gesetz muss und wird kommen, die Frage ist nur: wann und in welchem Umfang. Es darf bloß kein zahnloser Tiger werden. Die zivilrechtliche Haftung ist für mich ein zentrales Element eines wirkungsvollen Lieferkettengesetzes.
Freytag: Ich glaube nicht, dass es auf nationaler Ebene kommen wird – aber in Europa. Die zivilrechtliche Haftung sollte es aber auf keinen Fall geben. Nur Betroffene sollten klagen dürfen, nicht NGOs in Deutschland, denen es gelegentlich mehr um die Bestrafung von Unternehmen als um die Einhaltung von Menschenrechten geht. Dann werden wir hoffentlich eine Richtlinie haben, mit der die meisten werden leben können.
Solange Verbraucher*innen vor der Herausforderung stehen, „richtig“ zu konsumieren, gibt es mittlerweile jede Menge Möglichkeiten, z. B. bietet die neue Website ichwillfair.de Tipps zum fairen Konsum.