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Beim „EU-Africa Business Forum“ im Februar 2022 moderierte die politische Aktivistin und Unternehmerin Kah Walla die Gesprächsrunde zur Beschäftigungssituation für junge Menschen in Afrika. Im Interview spricht sie über „Good Governance“, die Attraktivität der Partnerschaft von „Team Europa“ mit Afrika, und welche Bedeutung die aktive Teilhabe insbesondere junger Menschen für die Transformation von Afrikas Agrar- und Ernährungssystemen hat.
Frau Kahbang Walla, einige Menschen nennen Sie Kameruns „weiblichen Obama“. Warum?
Edith Kahbang Walla: Ich denke, das bezieht sich auf die intensive Grundlagenarbeit. Ich bin nicht unbedingt mit allem einverstanden, was Obama getan hat, aber ich respektiere ihn sehr als einen Organisator für die Gemeinschaft. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in Afrika dringend Führungssysteme einführen müssen, die tatsächlich den Bedürfnissen unserer Bevölkerung entsprechen. Doch die Bevölkerung muss dies selbst fordern und organisieren.
Sie versuchen also beispielsweise die Zivilgesellschaft in Kamerun zu unterstützen?
Ja, ich denke, das kann man so sagen. Doch in der heutigen Zeit mag ich den Begriff „Zivilgesellschaft“ nicht, weil wir ihn zu einer Art Anhang gemacht haben: Sie haben den Staat und – ob es Ihnen passt oder nicht – Sie haben die Zivilgesellschaft.
Bei meiner Vision der Führung steht jedoch die Bevölkerung im Mittelpunkt.
Und eine Zivilgesellschaft besteht aus all den verschiedenen Gruppen von Bürger:innen. Sie sollte daher an erster Stelle stehen.
Wie intensiv ist die Präsenz der afrikanischen Staaten in den ländlichen Regionen? Auf einer Skala von null bis zehn...
Es ist sehr schwierig, eine Zahl für afrikanische Staaten als Ganzes anzugeben, da in unseren Ländern sehr unterschiedliche Situationen herrschen. Lassen Sie uns ganz grob drei Kategorien betrachten. Eine Kategorie besteht aus Staaten, die sich durch eine gute Funktionalität auszeichnen. Für mich bedeutet das drei Dinge: Präsenz, Sicherheit und Schutz, und drittens Hoffnung. Die zweite Kategorie umfasst Länder, die nicht vollständig präsent sind, aber sich in diese Richtung entwickeln und Anstrengungen unternehmen, um grundlegende Dienste wie Strom, Bildung, Gesundheitspflege und Sicherheit zu gewährleisten. Dann gibt es noch Staaten, die jahrzehntelang versagt haben...
…Was kennzeichnet sie?
Wir kommen nicht umhin, auf die Verbindung zwischen der fehlenden Präsenz des Staats, und Konflikten als letztendliche Konsequenz hieraus hinzuweisen. Wenn Sie sich anschauen, wo die Konfliktregionen liegen, werden Sie feststellen, dass es sich fast ausschließlich um Länder mit einer sehr geringen staatlichen Präsenz handelt. Die ländlichen Regionen in diesen Ländern sind verloren.
Befassen wir uns mit den Hauptstädten. Letzte Woche vereinbarten die Vertretungen der AU und der EU während des sechsten. EU-AU-Gipfels eine „gemeinsame Vision für 2030“. Wie bewerten Sie die Ergebnisse des Gipfels?
Es gibt positive Ergebnisse. Es war für diese beiden Kontinente wichtig, sich in Zeiten einer Pandemie zu treffen. Im Rahmen des Gipfels gelang es, diese kurzfristige „Vision 2030“ zu entwickeln, was wichtig ist aufgrund der Dringlichkeit der Probleme, die beide Kontinente in hohem Maße erleiden. Darüber hinaus behandelt diese Vision wichtige Bereiche: Wohlstand und Nachhaltigkeit für Afrika und Europa, eine verbesserte Zusammenarbeit für den Frieden, Partnerschaften für Migration und Mobilität und Multilateralismus – dies sind fundamentale Aspekte.
Fehlte nichts?
Leider doch. Wir kehren zu der Frage der funktionalen Staaten zurück und wie afrikanische Staaten die Verantwortung für ihre Funktionalität übernehmen und wie europäische Staaten in dieser Partnerschaft auf die Funktionalität der Staaten bestehen...
Waren sie nicht streng genug?
Es ist nicht ihre Aufgabe, Afrika gegenüber streng zu sein. Afrika muss sich selbst gegenüber streng sein. Und Europa hat jedes Recht zu sagen: Wir haben dies und das beispielsweise für Wasser ausgegeben – und was ist passiert? Haben die Menschen mehr Wasser?
Wie attraktiv ist das Kooperationsangebot von Team Europe im Vergleich zu den Angeboten anderer Beteiligter wie etwa China, Russland und den USA?
Europa wird immer ein essentieller Partner für Afrika sein.
Wie haben eine sehr lange gemeinsame Geschichte – auch mit schwierigen und hässlichen Aspekten. Doch das ist unsere Geschichte.
Und was ist mit China oder Russland – können sie attraktiver sein?
Das hängt von der Art des Staates ab. Wenn wir Sicherheit und Schutz als Voraussetzungen für einen funktionierenden Staat ansehen, fordern wir fundamentale Menschenrechte. Eine Bevölkerung ohne einen Staat, der sich diesen Werten verschrieben hat, wird immer unmittelbar in Gefahr sein. Es gibt immer noch zahlreiche Diktaturen in Afrika, die die Menschenrechte nicht achten wollen und nach Partnern suchen, die nicht auf die Einhaltung von Menschenrechten pochen. Europa glaubt, sich in einem Wettbewerb mit China, Russland und jetzt teilweise auch der Türkei zu befinden, und ist im Hinblick auf diese fundamentalen Rechte und Fragen der Gerechtigkeit ein wenig nachgiebig geworden. Auf diese Weise lässt es Diktaturen Freiraum.
„Team Europe“ ist also zu nachgiebig?
In der Tat. Wie wir in der Erklärung gesehen haben und anhand der Zusammenarbeit vor Ort sehen, bestehen bei dieser Kooperation vonseiten Europas sehr wenig Forderungen, obwohl diese in den fundamentalen Satzungen festgelegt sind, die uns vereinen: Den Menschenrechten. Afrika verfügt über eine starke Charta zu Demokratie, guter Regierungsführung und Menschenrechten. Europa fragt nicht: Wo bleibt der grundlegende Respekt für diese Charta? Es würden helfen, die Gewährung von Hilfe und Unterstützung von der Einhaltung dieser Vorbedingungen abhängig zu machen.
Einige afrikanische Regierungen wären nicht erfreut.
Wenn Sie die afrikanischen Bürger:innen und nicht die Staaten fragen, werden sie antworten, dass sie sich mehr Bedingungen und mehr europäische Forderung bezüglich dieser fundamentalen Rechte wünschen würden. Europa erscheint vielen Afrikanern hypokritisch, weil es so inkonsistent bezüglich dieser funamentalen Werte ist.
Wie optimistisch sind Sie hinsichtlich der ländlichen Regionen in afrikanischen Ländern? Sie haben als Teil des EU-AU Gipfels selbst eine Diskussion zur Beschäftigungssituation für junge Menschen in ländlichen Gebieten während des „European-African Business Forums“ letzte Woche moderiert. Gibt es ein „Yes, we can“?
Ich bin sehr optimistisch. Ich habe sehr viel Energie aus dem Seminar mitgenommen! In diesem Seminar investieren junge Unternehmer, junge Menschen in Landwirtschaft.
In ganz Afrika befinden sich die Menschen im Aufbruch.
Die Bürger:innen organisieren sich trotz der sehr schwierigen Situation und des eingeschränkten Bewegungsraumes. Sie fordern eine bessere Versorgung in ländlichen Bereichen. Sie möchten in die getroffenen Entscheidungen einbezogen werden. Doch in diesem Punkt werden sie vom Rest der Welt, einschließlich Europa, enttäuscht.
Wie könnten ländliche Institutionen so gestärkt werden, dass marginalisierte Gruppen nicht länger vernachlässigt werden? Und welche Änderungen sind im Governancesystem der Agrar-und Ernährungssysteme erforderlich?
Zwei Dinge würden die Lebensmittelsicherheit und sogar die Landwirtschaft radikal verändern. Dezentralisierung ist einer dieser beiden Aspekte. Aus diesem Grund ist „Good Governance“ wichtig. Denn ein Staat, der im ganzen Land präsent sein möchte, wird sich automatisch für Dezentralisierung entscheiden. Die Bereitstellung einer grundlegenden Versorgung erfordert starke lokale Regierungen. Sie sind die Ansprechpartner des Staats für die Bevölkerung in den ländlichen Regionen. Darüber wird heutzutage nicht so viel gesprochen. Wir haben dies sehr viel intensiver in zweitausender Jahren besprochen, aber es war nicht sehr wirksam, sodass dieses Thema erneut behandelt werden muss. Wenn man außerdem über schöne Strategien wie das „Comprehensive Africa Agriculture Development Programme“ (CAADP) oder die „African Agri-Business Youth Strategy“ verfügt, werden diese Strategien nur dann umfassende Ergebnisse erzielen, wenn sie auf lokaler Ebene operationalisiert werden. Sie müssen in der Region, in dem Land und innerhalb des Landes auf subnationaler Ebene angewendet werden.
Und der zweite Aspekt?
Von Bäuerinnen und Bauern geführte Gruppen, die die eigentliche Arbeit vor Ort erledigen, müssen ein zentraler Bestandteil des Governancesystems auf nationaler Ebene und sogar auf kontinentaler Ebene sein. Wir sprechen immer noch ohne die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern oder nur mit einer symbolischen Vertretung über Landwirtschaft. Wir beziehen immer noch keine jungen und weiblichen Farmer in die Entscheidungsfindung ein.
Wie würde das helfen?
Sie würden ihre tatsächlichen Bedürfnisse einbringen. Wir haben das in unserem Seminar während des „Business Forums“ beobachtet: Die jungen Menschen, die an der Diskussion teilnahmen, hatten einige sehr interessante und innovative Ideen hinsichtlich der schwierigen Frage der Finanzierung in der Landwirtschaft. Die meisten der übrigen von uns arbeiten in der Politik und sprechen über diese Themen, ohne darüber nachgedacht zu haben.
Zum Beispiel?
Etwa wie sie Technologie mit Finanzdienstleistungen verknüpfen können, wo Gruppen gebildet werden können, um die Bürgschaften für aufgenommene Darlehen sicherzustellen. Dies ist wiederum eine Verbindung zur lokalen Regierung, um beispielsweise den Zugang zu Maschinen zu ermöglichen. Diese jungen Menschen in dem Seminar kennen sich in der Praxis aus, prüfen dies und das in den Gemeinden, und verfügen daher über einige Erfahrung, die sich nutzen lässt.
Sie haben erwähnt, dass junge und vor allem weibliche Farmer mehr in die Entscheidungsfindung einbezogen werden müssen. Warum Frauen?
Weil sie 50 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Ich wundere mich immer ein bisschen über diese Frage, denn wenn Sie sie nicht einbeziehen, bedeutet das, dass Sie entschieden haben, 50 Prozent Ihrer Bevölkerung außer Acht zu lassen.
Wenn wir über afrikanische Landwirtschaft sprechen, müssen wir über Frauen sprechen.
In einigen Ländern werden mehr als 50 Prozent, in anderen Ländern bis zu 80 Prozent des Ackerbaus von Frauen betrieben. Ich sehe immer noch diese Besprechungen in Landwirtschaftsministerien ohne eine einzige anwesende Frau. Ich sehe immer noch diese Diskussionen um die Festlegung des nationalen Landwirtschaftsinvestitionsplans ohne eine einzige Frau im Raum. Das bedeutet: Die Bauernschaft als solche sitzt nicht mit am Tisch.
Das bedeutet: Der Fehler liegt in den Systemen - in den afrikanischen und europäischen?
Absolut. Ich bin eine feste Befürworterin von Quoten. Ich weiß, dass Quoten für Menschen immer ein kontroverses Thema sind, aber ich warte auf einen anderen Mechanismus, der es uns ermöglicht, Jahrhunderte der Unausgewogenheit und Ungleichheit innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens zu überwinden. Meine allgemeine Erfahrung ist, dass Randgruppen ohne Macht, wie etwa in einem Unternehmen, ganz anders denken und an ein Problem herangehen. Sie bereichern jede Konversation.
Weil sie kreativer sind?
Und ausgeglichener. Gruppen ohne Macht machen sich nicht so viele Gedanken über Macht. Sie sind mehr ergebnisorientiert und betrachten Probleme realistischer.
Die drei großen Herausforderungen von Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Hunger müssen während der COP 27 in diesem Jahr umso mehr mit Blick auf globalen Wandel werden. Welche Möglichkeiten bietet eine Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme für ländliche Regionen hinsichtlich Beschäftigung und Ökosystem-Dienstleistungen?
Afrikanische Kleinbäuerinnen und Kleinbauern warnen bereits seit 20 bis 30 Jahren vor dem Klimawandel.
Ihre Regierungen haben nicht zugehört und dies nicht zu ihrer Priorität erklärt. Für Farmer hat dies jedoch oberste Priorität. Es bestehen enorme Möglichkeiten, zahlreiche Lösungen, die für Minderung und Anpassung entwickelt, aber – wieder einmal – nicht ausgeweitet wurden. Darüber hinaus ist Biodiversität ein großes Problem für Europa. Wie wir wissen, besteht eine Debatte über europäische Unternehmen, die versuchen, Saatgut zu monopolisieren, was sich erheblich auf die Biodiversität auswirkt. Meiner Ansicht nach muss Europa einen kritischen Blick in den Spiegel werfen und die notwendigen regulatorischen Schritte unternehmen. Auf afrikanischer Seite wird viel Biodiversität durch die kleinen Gemeinden bewahrt, die von ihrer eigenen Regierung nicht viel Unterstützung erhalten und großen multinationalen Unternehmen gegenüber nicht ausreichend gewappnet sind. Ich sehe daher Möglichkeiten für diese Gemeinden in diesen drei Prioritäten – doch die Herausforderungen müssen auf afrikanischer Seite, und genauso von der europäischen Seite aus angegangen werden.
Welche Rolle spielen große Unternehmen in der Landwirtschaft wie etwa internationale Agrarkonzerne – sind sie ein Fluch oder ein Segen?
Es hängt davon ab, was sie mit ihrer Intervention bezwecken, welche Wertschöpfungsketten sie anpeilen und wie weit ihre Intervention geht. Afrika ist ein wenig spät dran, doch wir können aus den Fehlern anderer lernen. Sich nur auf großangelegte Landwirtschaft zu konzentrieren und kleine Betriebe auszuschließen ist keine gute Lösung für den Planeten und keine dauerhafte Lösung für uns als Menschen. Ich glaube an andere Unternehmen. In den Siebzigern wurde die Lösung der Kooperativen verworfen – sie ist jedoch eine überzeugende kollektive Kraft für Bäuerinnen und Bauern, sowohl für die Produktion als auch den Wandel und die Vermarktung. Ich glaube nicht, dass Afrika die Entwicklung der Landwirtschaft in Europa kopieren sollten. Wir haben die Möglichkeit einer sehr viel besseren Mischung: Wir benötigen großflächigen Ackerbau in einigen Bereichen, aber auch mittelständische landwirtschaftliche Betriebe, die überlebensfähig und konkurrenzfähig sind und die Biodiversität und das Klima besser schützen.
Wie denken Sie über die Forderung aus dem globalen Norden, dass afrikanische Farmer auf chemische Dünger und Pflanzenschutzmittel verzichten sollten?
Auch dies muss als eine vollständige Wertschöpfungskettenstrategie durchdacht werden. Es geht nicht nur darum, keine Chemikalien für die Produktion zu verwenden. Die Frage lautet: Wenn wir keine Chemikalien für die Produktion verwenden, wie sollen wir dann das Know-how, die Technologie und so weiter, anwenden, um ein hohes Produktionsvolumen ohne diese Chemikalien zu erreichen? Zweitens: Wie stellen wir sicher, dass diese Bäuerinnen und Bauern ihren Lebensunterhalt mit ihrer Produktionsmethode sichern können? Die afrikanischen Farmer können nicht den Preis für die Fehler Europas bezahlen.
Ist das eine gute Idee?
Ja, doch ihre Implementierung erfordert sehr gründliches und ernsthaftes Nachdenken über die gesamte Wertschöpfungskette. Und das geht nicht ohne funktionale Staaten!
Jede Antwort in diesem Interview bezieht sich auf Staaten und Funktionalität...
…dies ist ein Grundpfeiler. Wir neigen in der Entwicklungszusammenarbeit dazu, nicht darüber zu sprechen. Aber ohne funktionale Staaten, schaffen wir es nicht.
Das Gespräch wurde mit Blick auf das EU-Africa Business Forum im Februar 2022 geführt, welche das sechste Gipfeltreffen der Afrikanischen und Europäischen Union einläutete. Mehr erfahren über die Abschlusserklärung des EU-AU Gipfels.