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Wie steht es um die Lieferketten in der Kakaowirtschaft? Zwei Expert*innen teilen ihre Sichtweise: Ein Gespräch zwischen Claudia Brück von Fairtrade Deutschland und Torben Erbrath vom Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie.
Die Nachfrage nach fair gehandeltem Kakao steigt. Frau Brück, wie reagiert aus Ihrer Perspektive die Industrie auf diesen Trend?
Claudia Brück: Sie versucht, diesem Trend gerecht zu werden. Wir führen gerade viele Gespräche mit bestehenden Partnern, die ihr Sortiment ausweiten möchten – und auch mit neuen Partnern, die überlegen, auf Fairtrade umzusteigen.
Dr. Torben Erbrath: Über unsere Mitgliedsunternehmen laufen 81 Prozent des mit Nachhaltigkeitssiegeln zertifizierten Kakaos, der in deutschen Süßwaren verkauft wird. Aber davon hält Fairtrade nicht den Hauptanteil, sondern die Rainforest Alliance. Da ist also auch für Sie noch Luft nach oben.
Herr Dr. Erbrath, was hören Sie denn von Ihren Unternehmen – eher Zurückhaltung bei nachhaltigem Kakao oder einen Push gen Ausbau?
Dr. Erbrath: Locker nach oben lässt sich das nicht mehr drehen. Seit wir 2012 damit antraten, ist tatsächlich viel bei der Nutzung von Siegeln passiert. Aber beim Impact muss noch viel getan werden.
Brück: Na ja, es geht ja nicht um das Siegel an sich, sondern es geht genau um diesen Impact. Und wenn wir mit Verbraucherinnen und Verbrauchern sprechen, gehen alle davon aus, dass der Kakao, der hier in Deutschland verkauft wird, nachhaltig angebaut ist und auf Kinderarbeit verzichtet. Aber da erfüllt die Industrie diese Erwartungen noch nicht. Und genau in diese Frage muss investiert werden.
Die Verwerfungen, die wir seit Jahrzehnten diskutieren, müssen endlich in ihren Ursprüngen angegangen werden. Das ist eine Frage des gemeinsamen Engagements entlang der gesamten Lieferkette.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Brück: Über lange Zeit wurde behauptet: Wir können nicht nachvollziehen, woher der Kakao kommt, also können wir auch keine direkte Verantwortung übernehmen. Diese Argumentation geht spätestens seit der Entwaldungsverordnung ins Leere. Wir können das alles sehr gut zurückverfolgen. Jetzt geht es darum, die strukturellen Schwierigkeiten abzubauen. Zu wenig bleibt von der Wertschöpfung bei den Bäuerinnen und Bauern. Sie leben in ärmlichen bis elenden Verhältnissen, haben zu wenig Schulbildung und zu wenig Aussicht, dass ihr Geschäft profitabel ist. Wir brauchen aber Kakaobauern, um auch zukünftig Schokolade herstellen zu können. Dieses beidseitige Interesse bedeutet: Schaut nicht auf den kurzfristigen Preis und baut euch langfristig stabile Handelsbeziehungen mit einzelnen Herkünften auf und investiert systematisch, auch jenseits des Weltmarktpreises. Dann hat dieses Rohprodukt auch eine Zukunft für beide Seiten.
Dr. Erbrath: Es gibt indes ein Problem. In Lateinamerika zum Beispiel liegt der Kakaopreis im Moment bei 11.000 US-Dollar pro Tonne – also viermal so viel wie vor drei Jahren. Langfristige Lieferbeziehungen, die man sich aufgebaut hat, sind durch diesen hohen Preis futsch. Ich will damit nicht sagen, dass man nicht langfristige Lieferbeziehungen aufbauen soll, im Gegenteil. Aber es ist schon erschreckend. Wie läuft das bei Ihnen bei Fairtrade? Ihr Preis besteht ja aus zwei Elementen: Der eine ist der Grundpreis, und das andere ist die Prämie für die Kooperative.
Brück: Hohe Preise sind nicht immer gut, denn die Frage ist: Wo werden sie erzielt? Wenn sie hauptsächlich börsengetrieben sind, wie im Moment, kommt das nicht bei den Bauern an. Auch bedeutet die Preisvolatilität eine Gefahr fürs Geschäft. Wir kennen das Problem, dass Bauern Gefahr laufen, nicht ihre Ernte an ihre Kooperative weiterzugeben, sondern an der Straße links und rechts zu verkaufen, weil dort im Moment ein höherer Preis erreichbar ist. Dennoch lässt die Nachfrage nach Fairtrade nicht nach. Wir sehen auch die Gefahr, dass Händler in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen, und zwar zwischen langfristigen Verträgen, die sie erfüllen müssen, und einem jetzt so hohen Marktpreis, den sie bedienen müssen. Was wir anbieten: Wir arbeiten mit gut 70 verschiedenen Ländern in unterschiedlichen Produkten zusammen. "Dort gibt es überall einen technischen Beratungsservice, also Mitarbeiter, die zu den Kooperativen gehen und mit den Kooperativen Maßnahmen zur Weiterentwicklung betreiben – zu Produktivität, zur Akzeptanz der Standards, wie mit Kinderrechten und Kinderarbeit umzugehen ist. Das sind Themen, bei denen die Mitglieder ein Sinn sehen, weiterhin bei Fairtrade zu bleiben.
Dr. Erbrath: Sowas sollte aber noch mehr kommuniziert werden. Für den Verbraucher ist das Siegel wie ein TÜV. Dass aber Fairtrade nicht nur der TÜV ist, also nicht nur Siegel und Prüfer, sondern auch gleichzeitig die Autowerkstatt, sollte mehr nach außen getragen werden.
Brück: Da laufen sie bei mir offene Türen ein, denn Kommunikation ist das A und O. Wir kommunizieren schon sehr breit, und zwar nicht nur das Siegel, sondern auch unsere Bildungsprogramme. Aber mehr geht immer.
Dr. Erbrath: Der Großteil des Kakaos kommt zu 70 bis 80 Prozent aus Westafrika, und da vor allen Dingen aus zwei Ländern, nämlich der Elfenbeinküste und Ghana. Beide haben staatlich reglementierte Systeme, bei denen der Mindestpreis momentan, weil das vorfinanziert wurde, noch weit unter dem liegt, was im Moment an den Börsen gehandelt wird. Da stelle ich mir die Frage, wie in diesen Ländern die Entwicklung ist.
Viele Bauern sind nach wie vor weit unter dem existenzsichernden Einkommen. Das liegt aber auch am staatlichen Mindestpreis, der eben so viel niedriger ist.
Herr Dr. Erbrath, könnten denn die Mitglieder Ihres Verbandes etwas tun, damit am Ende bei den Bauern mehr bleibt?
Dr. Erbrath: Bei dem staatlichen System? Kaum. Die einzige Chance, die Sie haben, ist tatsächlich nicht diese Preise zu zahlen, teilweise mengenunabhängig Prämien für bestimmte Leistungen zu zahlen.
Wo sehen Sie den Hebel, Frau Brück?
Brück: Das Gute an staatlich regulierten Märkten ist, dass zumindest nach unten eine Benchmark eingezogen ist und dass dieser Preis auch ganz deutlich kommuniziert wird. Die staatlichen Preise bilden eben nicht die börsengetriebenen Explosionen entsprechend ab. Wir haben 30 Prozent weniger Ernte durch den Klimawandel, und wegen der geringeren Menge zieht der Preis an. Und dann hat sich der Börseneffekt draufgesetzt. Jede Organisation und jedes Unternehmen kann jederzeit Prämien und Projekte aufsetzen, da ist der Phantasie kein Riegel vorgeschoben.
Das Wichtige ist unserer Meinung nach, dass es ein Austausch auf Augenhöhe sein muss; kein Projektchen hier und da und am Ende weiß man nicht, wie es weitergeht. Man kann auch gemeinsam daran arbeiten, dass es eine stabile Ernte gibt, die qualitativ gut ist und die ungefähr der Menge entspricht, die sowohl den Menschen vor Ort ein auskömmliches Einkommen ermöglichen, als auch dem, was die Industrie braucht."
Für diesen Austausch braucht es einfach Vertrauen und Langfristigkeit in die Richtung: Ich kenne meine Lieferkette, ich kenne die Organisatoren, die Geschäftsführer der Kooperativen.
Herr Dr. Erbrath, sehen Sie bei der Machbarkeit wie Frau Brück, dass der Phantasie keine Grenzen gesetzt sind?
Dr. Erbrath: Da hat Frau Brück mit der Durchsetzbarkeit Recht. Es kommt immer darauf an, was in diesen staatlichen Strukturen möglich ist und was einen Nachahmeffekt hat. Das Wichtigste ist aber, dass Best Practices geteilt werden und wir gemeinsam an einem Strang ziehen – sei es im Forum Nachhaltiger Kakao, in der Cocoa and Forest Initiative oder eben bei den Standards. Auch halte ich es für nötig, dass kein Name and Shame betrieben wird: Es hilft keinem weiter, wenn die Guten besser gemacht werden und die schlechten schlechter. Das treibt den Wettbewerb nicht unbedingt an. Es bräuchte einen Wettbewerb für die gute Sache, dass man gemeinsam daran arbeitet.
Frau Brück, sehen Sie das ähnlich mit dem Name and Shame?
Brück: Als Zertifizierungsorganisation bauen wir natürlich auf die Zusammenarbeit mit Unternehmen. Und da ist Vertrauen notwendig, da geht kein Name and Shame. Nichtsdestotrotz würde ich mir wünschen, wenn in der Öffentlichkeit mal die Namen derer in den Mund genommen werden, die sich nicht engagieren.
Dr. Erbrath: Also doch…
Brück: Sie haben das Kakaoforum genannt, aber dort findet man nicht die ganze Industrie. Es gibt immer noch welche, die sich wegducken. In Deutschland herrscht immer noch dieses Kommunikationsmuster vor, welches diejenigen, die vorneweg gehen, genauer unter die Lupe nimmt und eventuelle Geburtsfehler groß diskutiert. Aber diejenigen, die ganz still und leise denken: Ich warte mal ab, bis ich irgendwann wirklich juristisch belangbar bin und erst dann bewege ich mich – die haben weiterhin einen leichteren Stand.
Dr. Erbrath: Da kenne ich eigentlich keinen. Wir haben zwei Gruppen von Mitgliedern: Die einen, die man gar nicht so kennt oder aber Nachhaltigkeit nicht auf den Produkten ausloben. Und dann gibt es viele Handelsmarkenlieferanten, die kommunizieren die Siegel über ihre Handelsmarken und nicht über ihr Unternehmen. Und die anderen sind kleinere Unternehmen, die zum Beispiel Pralinen herstellen. Fragen Sie die mal, ob da jemand ein Siegel hat. Die meisten werden das verneinen und sagen: Ich kenne doch meinen Lieferanten, das ist der Bauer XY in Ecuador, da fahre ich jedes Jahr zur Parzelle. Ich kenne die Arbeitsbedingungen, und der kriegt von mir einen guten Preis. Das sind die, die Sie jetzt nennen, die sich angeblich wegducken. Die werden wir nie für Zertifizierungsprogramme gewinnen. Die brauchen kein Nachhaltigkeitsprogramm.
Gibt es wirklich nicht welche, die sich wegducken und sich auch nicht um das um die Kenntnis ihrer Lieferanten scheren?
Dr. Erbrath: Ich vertrete ja nicht nur die, die Mitglieder im Kakaoforum sind. Und da muss ich wirklich sagen: Viele sind auch Handelsmarkenlieferanten und machen das für den Teil sowieso. Ich will nicht sagen, dass sie das für ihre eigenen Produkte überall machen. Das würde ich in der Tat sagen, dass sie hier noch Potential haben. Aber im Grunde genommen ist jeder aus der Branche mit dem Thema konfrontiert.
Brück: Spätestens nach der Gesetzgebung sind alle konfrontiert. Nach Entwaldungsverordnung und Lieferkettengesetz müssen sich alle in die Richtung bewegen, dass man seine Lieferkette kennen und bestimmte Kriterien erfüllen muss. Das hat dazu geführt, dass sich alle diesem Thema geöffnet haben. Diejenigen, die mit Fairtrade arbeiten, sind hier schon einige Schritte vorangegangen.
Herr Dr. Erbrath, sehen Sie wie Frau Brück Vorteile durch die gesetzlichen Regelungen?
Dr. Erbrath: Ich sah es einmal so. Als die Diskussion aufkam, konnten jene, die in dem Bereich bereits weiter waren, einen Wettbewerbsvorteil nutzen und ein Level Playing Field für alle schaffen. Doch nun ist etwas passiert: Jetzt steht größtenteils die Compliance sehr im Vordergrund, weil viele Anforderungen daran gestellt sind. Und es wird noch schlimmer kommen, mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung-Richtlinie, wegen der extra Leute abgestellt oder sogar eingestellt werden, um diese Complianceanforderungen zu erfüllen. All die Manpower fällt weg, anstatt sich um die Probleme oder um die Wirkung im Ursprung zu kümmern. Ich teile also nicht mehr die Einschätzung, die gerade von der Zivilgesellschaft geäußert wird. Das ging nach hinten los.
Brück: Ja, das ist die die derzeitige Diskussion. Nicht jedes Gesetz oder jede Richtlinie realisiert in Gänze die richtige Balance zwischen Erfüllung und Wirkung im Süden. Und es geht ja eigentlich um den Weg. Aber wir machten die Erfahrung, dass es jetzt möglich ist, jeden Plot in der Elfenbeinküste geodatentechnisch nachzuverfolgen. Dass man dokumentieren kann, woher welche Kakaobohne kommt und dann den nächsten Schritt gehen kann. Darauf kommt es an! Dass Bauern die Vorteile kennenlernen, wenn sie keinen Wald abholzen, wenn sie ihre Kinder in die Schule schicken und landwirtschaftliche Praktiken anwenden, mit denen sie noch in 20 Jahren Kakao anbauen können.
Was heißt das in Bezug auf die Gesetzgebung?
Brück: Dass sie meiner Meinung nach der richtige Schritt war, um in diese Richtung zu gehen. Ich weiß: Es ist bürokratisch und noch nicht gut. Aber es bezeugt das Commitment, die eigene Lieferkette zu kennen.
Dr. Erbrath:
Von „noch nicht gut“ kann ich ein Lied singen. Nehmen wir nur als Beispiel die Entwaldungsverordnung: Man hat im letzten Schritt den Klimaschutzplan, der übrigens auch in der Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie als Anforderung drinsteht, extra noch in die Verordnung mit aufgenommen – der aber so gut wie gar nichts damit zu tun hat. Man packte also in Gesetze gewisse Inhalte, nur weil es der politische Wille war. Bei der Entwaldungsverordnung ist es unsinnig, auch noch die Schokolade mit reinzunehmen. Wenn nämlich der Kakao einmal in die EU reinkommt, müssen eh all diese Nachweise erbracht werden. Man hat da jetzt eine Zwitterlösung und einen bürokratischen Aufwand. Die Gründe dafür sind klar: Weil es im Holzbereich nicht so geklappt hat, führt man halt höhere Anforderungen auch bei den anderen Rohstoffen und Erzeugnissen ein.
Als Sie noch einen Sinn in diesen Regelungsbemühungen sahen: War nicht schon zu dem Zeitpunkt absehbar, wie es sich mit diesen ganzen Complianceerwartungen und -regelungen entwickeln würde?
Dr. Erbrath: Mehrere Gesetzgebungsvorhaben liefen parallel und unabgestimmt Als Industrie haben wir immer gefordert: Ihr müsst Kohärenz zwischen diesen Regelungen schaffen. Aber dann passierte in den verschiedenen Gesetzgebungsverfahren, die auch von unterschiedlichen Generaldirektionen der Europäischen Kommission getrieben worden sind, genau das Gegenteil. Die Ansätze, wie gesagt, waren gut. Sie haben viele Diskussionen befeuert.
Brück: Vorher war es nur auf freiwilliger Ebene getrieben. Diejenigen, die bereit waren, sich zu engagieren, mussten die Mehrkosten komplett selbst tragen. Und die Tatsache, dass jetzt alle in einem Sektor gewisse Standards nachziehen müssen, führt schon dazu, dass der Preisunterschied geringer wird; selbst bei höherem Engagement von den Front-Runnern, und das ist für uns ein wirklicher Vorteil.
Ist das Prinzip der Freiwilligkeit auf Unternehmensseite ausreichend, oder sehen Sie das als ausbaufähig an?
Dr. Erbrath: Als Vertreter eines Wirtschaftsverbands sage ich ganz ehrlich: Lieber gut freiwillig gemacht als schlecht verpflichtend. Und da sind wir bei manchen Punkten nach wie vor. Hoffen wir also, dass das schlecht Verpflichtend zu einem gut Verpflichtend wird!
Frau Brück, teilen Sie diese Hoffnung?
Brück: Je klarer ein Gesetzgeber ist, umso besser können freiwillige Ansätze zusätzlich bestehen. Und es gibt eine Verbrauchererwartung, dass Produkte, die in Deutschland gehandelt werden, nicht auf der Ausbeutung von Mensch und Umwelt im globalen Süden gründen. Es ist ja auch immer nur eine freiwillige Leistung gewesen, die man extra aufpreisen musste, anstatt dass man von staatlicher Seite her in irgendeiner Art und Weise dafür steuerlich honoriert worden wäre. Und ich stimme sogar zu, dass einem beim Green Deal schwindlig werden kann: Um was geht es hier alles, und was wird alles verhandelt, wo gibt es Schnittstellen und kann man das besser vereinheitlichen? Aber das heißt nicht, dass man jetzt das Kind mit dem Bade ausschütten muss.
Also sehen Sie eine positive Dynamik?
Brück: Ja, und das hat auch eine andere Dynamik ausgelöst, welche ebenfalls Rückwirkungen auf Prozesse hat. Zum Beispiel wird die Frage von Transparenz und Kindesschutz neu diskutiert. Unser Ansatz lautet: Es geht zuerst darum, die Kinder zu schützen. Wenn wir hören, dass es Kinderarbeit vor Ort gibt, dann gehen wir mit einem Kinderschutzprogramm da rein und schauen: Was ist das Beste für dieses Kind? Das geht vor und nicht, diese Organisation schnellstmöglich zu dezertifizieren und sie aus der Lieferkette zu werfen. Es geht uns um gemeinsame positive Entwicklung.
Dr. Erbrath: Ich bin jetzt schon 25 Jahre in diesem Business. Es zeigt sich heute, dass unsere Gesellschaft und Wirtschaft wirklich große Schritte geleistet haben. Nicht so schnell, wie wir die gerne gehabt hätten. Aber dass jetzt verstanden wird, dass das eigene wirtschaftliche Wohl sowohl am Anfang der Lieferkette liegt als auch bei mir – das ist wirklich eine Errungenschaft, die über Gesetzgebung verstärkt worden ist.
Man braucht beides, Gesetze und einen unternehmerischen Ansatz, der sagt: Ich will besser sein als meine Mitbewerber, und deswegen gehe ich einen nachhaltigen Weg.
Brück: Es gab immer Front-Runner bei der Freiwilligkeit, die es stets gut gemacht haben. Wir reden hier von 5 bis 15 Prozent, wenn wir großzügig sind. Die haben es wirklich gut gemacht, und die anderen haben nichts gemacht. Ich erinnere an den Nationalen Aktionsplan (NAP), der um freiwillige Berichte bat. Man hat immer wieder und sehr lange gesagt: Zeigt uns, dass ihr es freiwillig macht. Und es war immer nur dieselbe Handvoll Unternehmen, die es gut gemacht haben. Nicht einmal die Hälfte der Unternehmen hat geantwortet. Allein dieses Desinteresse zeigt, dass die Freiwilligkeit nicht so in der Breite der Unternehmerschaft wahrgenommen wurde, wie es hätte sein müssen.
Sie beide schauen auf 25 Jahre Erfahrung an Engagement auf diesem Gebiet zurück. Wie lautet Ihre Bilanz: Ist das Glas halb voll oder halb leer?
Dr. Erbrath: In Bezug auf Verbesserungen ist es halbvoll. Wenn ich aber auf die Strukturen in den Ländern schaue, in denen die Produzenten leben, muss ich leider sagen: halbleer. Wenn ich nach Westafrika komme, bin ich immer wieder darüber erschrocken, wie sich die Entwicklung zwar in Abidjan in der Elfenbeinküste zwar rasant geändert hat, auch die Infrastruktur. Aber das ist ja nur die Stadt. Auf dem Land sehe ich keine große Veränderung.
Brück: Ich würde sogar noch hinzufügen: Als ich vor 25 Jahren durch Ghana gefahren bin, bin ich durch Regenwald gefahren. Wenn ich heute da durchkomme, ist kein Wald mehr da. Die Schritte, die man mit einzelnen Organisationen geschafft hat, sind auf der anderen Seite durch andere Rahmenbedingungen wieder eingefangen worden. Ich sehe etwa das riesige Problem illegalen Goldabbaus in Ghana, der das Wasser verseucht und durch die Quecksilberbelastung großflächig landwirtschaftliche Ernten zerstört. Und dann ist es bitter, wenn man mit einer Kakaobäuerin spricht, die sagt: Ich habe mir ein Bett gekauft. Also, wir reden über solche Fortschritte. Wir sind noch nicht einmal bei der Hälfte der Strecke angelangt.