Frau von Reden, bedeutet das SDG12 Verzicht auf Konsum?

Das Nachhaltigkeitsziel 12 fordert nachhaltige Produktion und nachhaltigen Konsum bis zum Jahr 2030. Dem widmet sich die Zertifizierungsorganisation Fairtrade Deutschland. Wie weit sind wir von der Erfüllung dieses Ziels entfernt und was wurde bereits erreicht? Bettina von Reden über Vielfalt, Verzicht und mehr Bewusstheit.

© GIZ, Johannes Funk, 2022

Von Dr. Bettina von Reden

Dr. Bettina von Reden leitet seit 2022 den Bereich Internationale Projektkooperationen und Fundraising bei Fairtrade Deutschland. Zuvor war sie knapp fünf Jahre Teamleiterin Politik und Entwicklung und mehr als zwei Jahre Referentin für Internationale Projektpartnerschaften.

 

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Von Jan Rübel

Jan Rübel ist Autor bei Zeitenspiegel Reportagen, Kolumnist bei Yahoo und Reporter für überregionale Zeitungen und Zeitschriften. Er studierte Islamwissenschaft und Nahostgeschichte.

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Frau Dr. von Reden, versuchen wir uns mal dem Nachhaltigkeitsziel Zwölf zu nähern. Müssen wir, um es zu erfüllen, weniger konsumieren?
Wir müssen vor allem bewusster konsumieren. Dies hat viele Facetten. Dazu gehört der Konsum von lokalen, saisonalen oder regionalen Produkten, aber auch von fair gehandelten Produkten, die ja aus dem globalen Süden stammen und nach strengen Sozial- und Umweltaspekten produziert werden. Kaffee, Kakao oder Tee werden nun mal nicht in Europa angebaut.

 

Was hat das SDG12 generell mit Landwirtschaft und Ernährungssicherung zu tun?
Bei SDG12 geht es um nachhaltige Produktion und nachhaltigen Konsum aller Produkte, darunter natürlich auch der Lebensmittel für alle Menschen weltweit. Die Produktion von Lebensmitteln fängt auf dem Feld an – und geht bis zum Teller. An allererster Stelle stehen die Menschen, die auf dem Feld arbeiten, die Bäuerinnen und Bauern, die Landarbeiter:innen. Diese Produktion muss nachhaltiger werden und es muss sichergestellt werden, dass nicht nur Produkte angebaut werden, die den Menschen ein Einkommen bringen, sondern eben auch ausreichend Lebensmittel für die lokale und regionale Versorgung. Während der Covid-Pandemie haben wir gesehen, was es bedeutet, wenn internationale und regionale Lieferketten plötzlich nicht mehr funktionieren – in einigen Regionen hat dies bedeutet, dass Menschen hungerten, obwohl sie im ländlichen Raum lebten. Die lokale Versorgung mit ausreichend Lebensmitteln muss daher Teil einer nachhaltigen Landwirtschaft sein. Dafür braucht es Finanzierung, Wissen und Know-how. Auch dafür ist Fairer Handel so wichtig: Er kann über faire Handelsbedingungen und Partnerschaften sicherstellen, dass Finanzierung und Know-How vor Ort zur Verfügung stehen. Am Ende der Lieferkette geht es dann darum, dass die Konsumentinnen und Konsumenten in die Lage versetzt werden, nachhaltige Produkte zu erkennen und zu wissen, was dahintersteht, damit sie eine bewusste Kaufentscheidung treffen können.

 

Wie stark wächst der Faire Handel?
 

Der gesamte faire Handel ist seit 2005 jedes Jahr gewachsen, die meisten Jahre zweistellig. Das ist schon signifikant. Trotzdem ist natürlich noch viel Luft nach oben, um 100% fairen Handel zu erreichen.

 

Welche Rolle spielt die aquatische Ernährung für die Ernährungssicherung?  
Ich denke, eine wichtige. Im fairen Handel spielt das zwar nur eine sehr untergeordnete Rolle. Aber trotzdem sind natürlich die entsprechenden Abkommen unheimlich wichtig: Sie müssen sicherstellen, dass die Bestände nicht von internationalen Trawlern abgeräumt werden – und dass dann an den Küsten gar keine Fische für die lokale Bevölkerung mehr ankommen.

Was macht denn gute Ernährungssicherung aus?
Durch die wachsende Globalisierung ist es dazu gekommen, dass Menschen viel auf „Cash Crops“ gesetzt haben, auch für den Export. Das ist absolut nachvollziehbar und verständlich, denn sie wollten Geld verdienen. Der Fokus wurde also nicht auf Produkte für die lokale Ernährung gelegt. Der faire Handel hat schon lange als Ziel, Investitionschancen zu eröffnen und Bewusstsein zu schaffen, damit die Menschen u.a. auch wieder mehr unterschiedliche Nahrungspflanzen und damit auch wieder mehr für die eigene Ernährungssicherung anbauen. Aber jede Veränderung im Anbau erfordert Wissen – und auch immer eine Anfangsinvestition. Ohne fairen Handel ist das oft gar nicht möglich.

 

Wirtschaft und Jobs hängen vom Konsum ab. Würde eine Erfüllung von SDG12 bedeuten, dass sich Wertschöpfung und Wohlstand verringern?
Das muss nicht sein, denn wie Sie sagen geht es um Wertschöpfung. Weniger, aber wertvollere Produkte können unseren Wohlstand in nachhaltiger Art und Weise erhalten.

 

Aktuell werden viele Produkte noch immer in einer Art und Weise produziert und konsumiert, die alles andere als nachhaltig ist und damit eher geeignet ist, weltweiten Wohlstand und Werte zu zerstören, die ja beispielsweise auch in einer intakten Umwelt und funktionierenden Sozialsystemen bestehen.

 

Insbesondere viele landwirtschaftliche Produkte, aber auch Edelmetalle, Textilien etc. werden unter sehr ausbeuterischen Bedingungen hergestellt und zu zu niedrigen Preisen gehandelt. Und das führt dazu, dass die Menschen von diesen Produkten sehr viel anbauen oder herstellen müssen, damit überhaupt genug zum Leben dabei rauskommt. Würden sie mehr verdienen, könnten sie weniger von dem einen Produkt anbauen und das Land auch noch für andere Produkte zur Einkommensdiversifizierung und zur Ernährungssicherung nutzen – ein Gewinn für den allgemeinen Wohlstand.

 

Das würde Produkte für den Verbraucher verteuern.
Nicht unbedingt. Fairtrade-Produkte gibt es in jeder Preiskategorie. Aber sicherlich könnte es einige sehr billige Produkte so nicht mehr geben. Wir müssen verstehen, was es bedeutet, dass viele Kosten, die bei den vermeintlich billigen Produkten in der Produktion anfallen, im Moment auf die Allgemeinheit abgewälzt werden – die sogenannte Externalisierung von Kosten. Das heißt, dass die Folgen von Wasser- und Luftverschmutzung, der Verbrauch von Ressourcen, oder soziale Missstände und die Kosten, die dadurch der Allgemeinheit entstehen, sich bei einem großen Teil der Produkte bisher nicht im Endverbraucherpreis spiegeln. Sie sind also nur scheinbar billig, in Wirklichkeit zahlen wir alle dafür. Bei fair gehandelten Produkten kommen wir der „Kostenwahrheit“ schon näher. Wir haben Studien, die zeigen, wie sich der ökologische und soziale Fußabdruck der Produktion zum Beispiel von Bananen reduziert, wenn sie unter fairen Bedingungen angebaut werden.

 

Wo stehen wir denn gerade bei Nachhaltigkeit in Konsum und Produktion? Wann wird es Mainstream?
Für diese Frage hätte ich gerne eine Glaskugel (lacht). Aufgrund des Wachstums beim fairen Handel sind wir aber optimistisch und positiv gestimmt. Das ist weiterhin ein Thema für die Menschen, das interessiert sie, auch im Kontext Klimawandel. Die Verbraucher*innen haben ein Interesse daran und wünschen sich eine Orientierung dafür, wie sie bewusst und nachhaltig konsumieren können. Und trotzdem haben wir natürlich bei den Marktanteilen noch ganz viel Potenzial nach oben für fairen Handel und auch für Bio – am besten für beides kombiniert. Insgesamt beschleunigt sich jetzt vielleicht diese Entwicklung: In der EU entstehen gerade verpflichtende Gesetze für Menschenrechte entlang der Lieferketten, eine Anti-Entwaldungs-Richtlinie und bald auch eine Green Claims Direktive, das heißt: Die Unternehmen müssen mehr Sorgfalt darauf verwenden, was sie über ihre Produkte sagen und was als nachhaltig deklariert wird. In fünf Jahren werden wir noch nicht fertig sein mit dieser Entwicklung. Aber die Dynamik in Richtung Nachhaltigkeit nimmt deutlich zu.

Wer ist Treiber*in dieser Entwicklung?
Das muss auf allen Ebenen passieren: Die Gesetzgeber müssen die Rahmenbedingungen schaffen. Auch Unternehmen können noch mehr tun – mehr Produkte zu fairen Handelsbedingungen handeln und verkaufen und umfassende Nachhaltigkeitskriterien übergreifend verankern. Fairtrade hat darüber hinaus für einige Produkte noch höhere Referenzpreise entwickelt, die man über die Fairtrade-Mindestpreise und Prämien hinaus freiwillig bezahlen kann, um in Richtung existenzsichernde Einkommen zu gehen und den Produzent:innen auch weitere der bereits angesprochenen Investitionen zu ermöglichen. Aber auch wir als Bürger:innen und Konsument:innen sind gefragt:

 

Nur wenn eine signifikante Anzahl von Menschen zeigt, dass es ihnen wichtig ist und dass sie bereit sind, Kaufentscheidungen und vielleicht auch Wahlentscheidungen von Nachhaltigkeitskriterien abhängig zu machen, dann passiert etwas.

 

Das meiste kommt von unten?
Vieles wird von den Bürger*innen und Verbraucher*innen gepusht. Und ich glaube, das muss auch weiter so bleiben. Aber man braucht auch die Unternehmen, die mitziehen. Und das Ganze darf natürlich nicht nur in Deutschland passieren, sondern es muss eine weltweite Entwicklung sein. Da passiert in ganz vielen Ländern bereits viel, inklusive im sogenannten Globalen Süden. Schauen wir nach Indien: Es gibt dort eine wirklich große und ständig wachsende Mittelschicht und auch eine Oberschicht, die angefangen haben, ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu entwickeln. 2017 haben über 50% der befragten Inderinnen und Inder in einer Studie gesagt, dass sie gerne mehr nachhaltig konsumieren würden, aber bisher nicht wissen, wie, und auch keine entsprechenden Produkte finden.

 

Wie lässt sich das ändern?
Die Fairhandelsbewegung tut viel für eine Veränderung, teilweise auch mit Unterstützung beispielsweise durch das BMZ oder die EU. In Indien, Kenia, Südafrika, Brasilien, Mexico und vielen weiteren Ländern gibt es Projekte und Bewegungen, um fairen Handel und nachhaltige Produktion lokal zu verankern: Dort kann man jetzt teilweise auch Fairtrade-Produkte aus den eigenen und den benachbarten Ländern in den Regalen der Supermärkte finden. Die Unterscheidung zwischen Produktionsland und Konsumentenland gehört aufgehoben:

 

Wo produziert wird, wird auch konsumiert und umgekehrt und mehr Wertschöpfung muss vor Ort erfolgen. Auch das ist Teil von langfristiger Nachhaltigkeit.

 

Ein Unterkapitel des SDG12 ist die Vermeidung von Nahrungsmittelverschwendung. Was kann etwa in Deutschland besser werden?
Das hat ganz viel mit der Wertschätzung für Lebensmittel zu tun und mit den Preisen. Wir sind eines der Länder, in denen pro Kopf am wenigsten vom Einkommen für Lebensmittel ausgegeben wird – im Vergleich zu Frankreich, zur Schweiz oder zu skandinavischen Ländern. Das heißt, unsere Wertschätzung insgesamt für Lebensmittel ist nicht so hoch. Das hat sich zwar ein wenig über die letzten 20 Jahre hinweg gewandelt. Aber immer noch kaufen viele Menschen in Deutschland gerne billig ein, auch gerade jetzt mit der Inflation. Die Menschen sind schon sehr preissensibel. Und manchmal entstehen daraus unsinnige Verhaltensweisen, wie etwa mehr von einem Produkt zu kaufen als eigentlich gebraucht wird, weil es in der Großpackung im Angebot ist, oder weil manche Produkte so billig sind, dass es keine Rolle zu spielen scheint. Hier könnte sicherlich mehr Bewusstseinsbildung helfen, aber auch mehr Optionen wie unverpackte Lebensmittel, die gezielt auf den Bedarf hin gekauft werden können.

 

Ist ein Grund für die Nahrungsmittelverschwendung im Norden mitunter, dass es eine Riesenpalette gibt an Angeboten? Wenn man jetzt in einen Supermarkt geht, dann gibt es ein langes Regal für Marmelade, ein langes für Chips – und so weiter.
Aber wie will man so sowas regulieren? Es ist ja schwer festzulegen, dass pro Supermarkt nur höchstens zehn Marmeladen stehen dürfen. Vielleicht würde so etwas automatisch passieren, wenn die Lebensmittel mehr Wertschätzung erfahren und einen vernünftigen Preis haben.

 

Ist eigentlich SDG12 das schwierigste Nachhaltigkeitsziel in der Umsetzung? Oder liegt es daran, dass es vielleicht das umfassendste ist? Letzten Endes geht es ja schon an den Umbau der Gesellschaften.
Es ist relativ komplex, weil es sehr viele Lebensbereiche betrifft und weil es vom globalen Süden bis in den globalen Norden alles umfasst. Das macht es aber gleichzeitig auch so interessant. Es ist ein tolles Ziel, finde ich. Es zeigt in sehr direkter Art und Weise, wie alle aufgerufen sind, daran mitzuwirken, damit wir es hinkriegen, innerhalb planetarer Grenzen zu leben. Bei allen SDGs kommt es sehr stark auf den Willen an, den politischen Willen, um bestimmte Rahmenbedingungen zu setzen und den Willen der Menschen, im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten im Privaten und in der Arbeit, daran mitzuwirken. Und dafür braucht es die Bewusstseinsarbeit, damit die Menschen verstehen, warum sie denn etwas ändern sollen und was ihnen das auch persönlich bringen kann.

 

Diese von Ihnen angesprochene Reduktion der Vielfalt, das klingt direkt wieder nach Verzicht.
Aber eigentlich geht es gar nicht um Verzicht, sondern es geht darum, zu schauen, was wir denn eigentlich auch alles gewinnen würden, wenn wir tolle, nachhaltige Produkte hätten, die wir mit gutem Gewissen konsumieren können. Und wo wir nicht mehr länger drüber nachdenken müssen, ob da vielleicht Kinderarbeit drinsteckt oder Zwangsarbeit. Oder verbotene Pestizide. Oder ein vergifteter Fluss. Eine Vertreibung von indigenen Völkern von ihren angestammten Ländern.

 

Man fühlt sich da als Konsument*in etwas hilflos.
Ja, das alles prasselt in den Nachrichten auf uns ein. Viele Menschen sagen: Ich möchte solche Dinge nicht unterstützen. Es sind doch nur wenige, die meinen: Das ist mir egal. Aber viele fühlen sich damit überfordert.
 

Deswegen glaube ich, dass fairer Handel und Bio Orientierung geben können. Und da geht es nicht um Verzicht, sondern um eine andere Form von Konsum, eine andere Form von Genuss und eine andere Form von gutem Leben.

 
Und ich glaube, dass wir da ein riesiges Potenzial haben und dass das eine sehr gute Entwicklung für alle sein wird.

 

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