Ein deutscher Exportschlager
Auf der interaktiven Grafik finden Sie einzelne Projektvorhaben des DGRV. Klicken Sie auf das Symbol , um mehr zu erfahren.
„Einer für alle, alle für einen“ – dieser Leitspruch wurde die Handlungsbasis landwirtschaftlicher Genossenschaften, die sich im 19. Jahrhundert gegründet hatten. Aus ihnen wurde eine Erfolgsgeschichte, die sich weit ins 21. Jahrhundert hinein weiterschreiben wird. Schon im Mittelalter hatten sich erste Zusammenschlüsse entwickelt: So gründeten sich Genossenschaften von Bergarbeitern, um bei Unglücken für ein angemessenes Begräbnis zu sorgen, oder formelle Gruppen, um Gemeinschaftsaufgaben wie die Erhaltung eines Deichs oder Erneuerungen einer Alpwirtschaft anzugehen.
Im Jahr 1848 schließlich gründete der Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen in Deutschland einen Verein. Seitdem steht sein Name für agrarische Genossenschaft schlechthin. Der „Flammersfelder Hilfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte“ schuf unter anderem Modelle zum günstigen Einkauf von Produktionsgütern wie beispielsweise Saatgut und Düngemittel. Sowohl der „Grüne Kredit“, der vorsah, Saatgut und Dünger mit der späteren Ernte zu bezahlen, als auch die gemeinsame Erntevermarktung und die örtlich verwalteten Spar- und Darlehenskassen wurden in vielen Dörfern Deutschlands entsprechend seinen Vorschlägen eingeführt. Aus den im gleichen Zeitraum von Hermann Schulze-Delitzsch (1808–1883) gegründeten Spar- und Konsumvereinen auf Genossenschaftsbasis haben sich die Volksbanken entwickelt, die sich ab Mitte des 20. Jahrhunderts in Deutschland mit den Raiffeisenbanken zusammenschlossen.
Seither haben sich Genossenschaften als anpassungsfähige Unternehmensform bewährt. Wichtige Faktoren dieser Erfolgsgeschichte sind ein verlässlicher rechtlicher Rahmen, die Vernetzung der Genossenschaften, die genossenschaftliche Aus- und Fortbildung und die bereits in den 1880er Jahren eingeführte Prüfung der Genossenschaften. Bis heute dient diese dazu, die Mitglieder der Genossenschaft vor Vermögensschäden zu schützen und die Genossenschaftsorganisation zu stabilisieren.Im Jahr 1972 wurde schließlich ein Dachverband der deutschen Genossenschaftsorganisationen geschaffen: der DGRV – Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband. Den Leitspruch „Einer für alle, alle für einen“ trägt er in die Welt. Der DGRV zeichnet sich für sein entwicklungspolitisches Engagement bei der nachhaltigen Förderung genossenschaftlicher Strukturen aus und berät Partner in 30 Ländern weltweit bei der Implementierung und Stärkung genossenschaftlicher Verbände und Institutionen.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit setzt somit gemeinsam mit Projektpartnern rund um den Globus auf genossenschaftliche Strukturen und Institutionen als Baustein einer erfolgreichen Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele. Denn landwirtschaftliche (Kredit-)Genossenschaften tragen das Potenzial in sich, ländliche Räume fit für die Zukunft zu machen – neben der Bekämpfung von Hunger, dem Aufbau von Wertschöpfungsketten und verbesserten Zugängen zu Märkten.
Insbesondere jungen Menschen werden so neben Grundbedürfnissen wie Nahrung und Einkommen Lebensperspektiven aufgezeigt. Um die Idee des genossenschaftlichen Unternehmertums in den jeweiligen Partnerländern zu verankern, gibt es eine große Vielfalt an Instrumentarien. Da die Voraussetzungen und spezifischen lokalen Bedürfnisse je nach Region und Land voneinander abweichen, braucht es differenzierte Ansätze und Vorhaben, die zu bedarfsorientieren und nachhaltigen Lösungen beitragen.
Doch wie gestaltet sich das entwicklungspolitische Wirken in einzelnen Sektoren? Wie können nachhaltige, bedarfsorientierte Strukturen gefördert werden? Welche Herausforderungen gibt es auf den verschiedenen Handlungsebenen zu beachten?
Mosambik
In Mosambik ist es dem DGRV dank seiner Expertise als Dachverband deutscher Genossenschaften gelungen, die kleinbäuerliche Vereinigung „4. Oktober“ in Inharrime zu einem Vorzeigemodell genossenschaftlichen Unternehmertums zu entwickeln. Inzwischen bezieht sogar der Brauerei-Konzern Cervejas de Moçambique (CDM) für die Produktion des bekannten Bieres „Impala“ erhebliche Mengen Maniok von der Genossenschaft. Um den oftmals nur rudimentären Zugang von afrikanischen Kleinbäuer*innen zu Absatzmärkten zu verbessern, führte der DGRV zunächst Schulungen durch, die den mosambikanischen Landwirt*innen genossenschaftliche Prinzipien wie Selbsthilfe, -verantwortung und -verwaltung vermittelten. Dadurch ist es gelungen, historische Vorbehalte gegenüber Kooperativen abzubauen und den Bauern die Potenziale einer mitgliederbasierten Genossenschaft aufzuzeigen. Eine daran anknüpfende Beratung trug dazu bei, den Anbau zu modernisieren, neue Absatzmärkte zu erschließen und die zuvor auf der Sicherung des eigenen Lebensunterhalts begrenzten Erträge der Bauern zu verbessern.
Indien
In Indien unterstützt der DGRV den lokalen Partner APAMAS bei der Stärkung genossenschaftlich organisierter (Frauen-)Selbsthilfegruppen (SHG). Diese ermöglichen die Vergabe von Kleinkrediten in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Kultur. Angesichts der zentralen Rolle im ländlichen Raum – in Indien existieren rund acht bis zehn Millionen solcher Gruppen – soll ein Pilotprojekt in Andhra Pradesh die SHG in die Lage versetzen, nachhaltige Netzwerkstrukturen zu etablieren. Besonders bewährt hat sich in diesem Zusammenhang die Einführung Sektor-eigener Kontrollen (SOC) im Verbund mit einem entsprechenden Coaching. Die wirtschaftliche Situation hat sich dadurch andauernd verbessert. Dieser Ansatz findet mittlerweile durch kooperative Wissensschulungen und Seminare auch Anwendung bei Bauernproduzentenorganisationen Anwendung.
Kambodscha
In Kambodscha wiederum wirkt der DGRV mit dem dortigen Landwirtschaftsministerium an der Verbesserung struktureller Rahmenbedingungen und am Aufbau genossenschaftlicher Verbandsstrukturen mit. Obwohl der Anteil, der im Agrarsektor Beschäftigten einen starken Rückgang verbucht, spielt die Landwirtschaft für die ländliche Bevölkerung weiterhin eine wichtige Rolle. Der Aufbau eines modernen, unternehmerisch orientierten Genossenschaftswesens kann einen wesentlichen Beitrag zu einer verbesserten Wertschöpfung und Ernährungssicherung leisten. Das vom DGRV begleitete und 2013 verabschiedete Genossenschaftsgesetz war ein erster wichtiger Schritt, um die Attraktivität von Genossenschaften als Rechtsform zu erhöhen. Dazu unterstützt der deutsche Dachverband unter anderem die lokale NGO Buddhism for Development (BFD) bei der Schulung landwirtschaftlicher Genossenschaften und der Vermittlung internationaler Kontakte, wie im Falle der 2010 in Memot gegründeten Pfeffergenossenschaft. Letzteres ist in zweifacher Hinsicht ein Erfolg: Die Pfefferanbauer profitieren von neuen Absatzmärkten für ihren Rohpfeffer und Qualitätsverbesserungen. Gleichzeitig illustriert dieses Beispiel weiteren Gruppen die Vorteile genossenschaftlicher Organisation.
Brasilien
Das BMZ-Projekt des DGRV in Brasilien zeichnet sich durch sein sektorübergreifendes Wirken in den Bereichen Landwirtschaft, erneuerbare Energien und Finanzen aus. Mit Fokus auf die Landwirtschaft soll das gemeinsam mit dem Kooperativendienstleister „SESCOOP Nacional“ umgesetzte Programm „AceleraCoop“ zu einer Stärkung der Genossenschaften in den Bereichen Management und strategischer Planung beitragen und den Aufbau von Netzwerken und Partnerschaften befördern. Dadurch werden Beschäftigung und Einkommen im ländlichen Raum nachhaltig verbessert. Gleichzeitig ist der DGRV bemüht, durch Dialog- und Austauschformate über das enorme genossenschaftliche Potenzial bei Produktion und Verbrauch erneuerbarer Energien aufzuklären. Auf diese Weise könnten Genossenschaften einen wertvollen Beitrag zur Reduktion von Kosten und einer Effizienzsteigerung im Energiesektor leisten. Im Gegensatz dazu weist das Produktsortiment brasilianischer Kreditgenossenschaften bereits eine beachtliche Vielfalt auf: Schwerpunkt einer entsprechenden Kooperation mit dem brasilianischen Dachverband OCB ist eine erhöhte Präsenz der Kreditgenossenschaften im Norden und Nordosten zu erwirken sowie durch nationalen und internationalen Austausch best practices im Bereich Regulierung und Aufsicht zu verankern. Zur Erreichung der genannten Ziele bedient sich der DGRV eines breit angelegten „toolkit“ aus Seminaren, Workshops, Begleitmaterialien, Ausbildungen und Beratung.
Guatemala
Kaum ein anderes Land in der Welt verbucht eine ähnlich hohe soziale und wirtschaftliche Ungleichheit: Während der Großteil wirtschaftlicher Ressourcen in Guatemala in der Hand einer kleinen privilegierten Gruppe liegt, lebt die indigene ländliche Bevölkerung zumeist unterhalb der Armutsgrenze. Angesichts dieser sozialen Verwerfung haben (Kredit-)Genossenschaften das Potenzial, die finanzielle Inklusion benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu verbessern und die Hürden speziell für Unternehmungen zu mindern. Zielgruppe des BMZ-geförderten Projekts sind daher junge und vielfach von Vertreibung bedrohte Kleinst- und Kleinproduzent*innen in ländlichen und städtischen Randgebieten. Diese sollen im Rahmen des Projekts durch ein verbessertes Angebot von Beratungs- und Schulungsleistungen des Netzwerks der größten Spar- und Kreditgenossenschaft, MICOOPE, erreicht werden. Zusätzlich wird durch die Zusammenarbeit mit dem guatemaltekischen Dachverband CONFECOAC der Aufbau eines Ausbildungssystems verfolgt. Weitere Arbeitsbereiche umfassen den Austausch mit relevanten Aufsichtsbehörden, die Stärkung eines Einlagensicherungsfonds sowie die Bereitstellung nachhaltiger Finanzprodukte.
Japan
Bereits vor mehr als 100 Jahren diente das deutsche Genossenschaftsgesetz als Blaupause für die Herausbildung vertiefter genossenschaftlicher Strukturen. Noch heute genießt Friedrich Wilhelm Raiffeisen als einer der Urväter der deutschen Genossenschaften bei Vertreter*innen japanischer Kooperativen ein hohes Ansehen. Die Genossenschaften haben in Japan bei Milch einen Marktanteil von fast 100 Prozent, 57 Prozent des Obstes und Gemüses stammen aus genossenschaftlichem Anbau und die Hälfte des Reises. Rund 210.000 Menschen arbeiten im landwirtschaftlichen Genossenschaftssektor.