Der Klimawandel betrifft uns alle, nur nicht im gleichen Ausmaß

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Es besteht kein Zweifel darüber, dass negative Folgen des Klimawandels sowohl an Intensität als auch an Häufigkeit zunehmen. Daten zeigen, dass die durchschnittlichen globalen Oberflächenlufttemperaturen im Jahr 2020 ca. 1,25 °C über dem Durchschnitt des vorindustriellen Klimamittels (1850 bis 1900) lagen und im Vergleich zum Mittel der Jahre 1981-2010 um 0,6 °C gestiegen sind. Zwanzig der vergangenen 21 Jahre gehören zu den heißesten Jahren seit Beginn der Wetteraufzeichnung.

Bei weiterhin ungebremsten Emissionen könnten ab dem Jahr 2030 jährlich zusätzlich 71 Millionen Menschen durch die Langzeitfolgen des Klimawandels hungern; ab 2040 sogar 90 Millionen.

Von Claudia Ringler

Claudia Ringler ist Deputy Division Director der Abteilung Environment and Production Technology (EPTD) am International Food Policy Research Institute (IFPRI). IFPRI bietet forschungsbasierte Lösungen, um Armut nachhaltig zu reduzieren und Hunger und Unterernährung in Entwicklungsländern zu beenden.

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Länder mit hohem Einkommen melden mehr Todesfälle aufgrund von Hitzestress in urbanen Zentren, die Waldbrände beginnen früher, sind größer und zerstörerischer und immer weitläufigere landwirtschaftliche Flächen trocknen aus. In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LMICs, Lower Middle-Income Countries) hingegen sind die Herausforderungen größer, die Auswirkungen folgenschwerer und die Prognosen wesentlich düsterer.

 

"Die Anzahl der Länder in Asien, die jährlich mehrere Klimaschocks erleben, hat sich zwischen 2011 und 2016 mehr als verdoppelt und der Anteil beläuft sich nun auf 51 Prozent. In Indien sind große Regionen bereits jetzt von regelmäßig auftretenden Hitzewellen betroffen. Bei einem weiteren Temperaturanstieg von 0,5 bis 1,0 °C werden diese Regionen des Landes unbewohnbar werden. Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte Indiens würde ein Temperaturanstieg zu beispiellosen Migrationsströmen führen."
– Shenggen Fan, ehemaliger Generaldirektor von IFPRI (International Food Policy Research Institute, Internationales Forschungsinstitut für Ernährungspolitik), 10. Oktober 2019

 

In LMICs zählt die Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels auf die Ernährungssicherheit zu den obersten Prioritäten und wird erhebliche Veränderungen und Investitionen in zahlreichen Bereichen erfordern. Die von CGIAR (Consultative Group on International Agricultural Research, Beratungsgruppe für Internationale Agrarforschung) und anderen Partnern durchgeführten Studien haben politischen Entscheidungsträgern geholfen, die Auswirkungen des Klimawandels auf arme Bevölkerungen besser zu verstehen, und werden bei der Erarbeitung wissenschaftlicher Studien und praktischer Lösungen für die Eindämmung der schwerwiegendsten Auswirkungen als Grundlage herangezogen.

 

"Ein veröffentlichter Bericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) sagt einen Rückgang der globalen Ernte um zwei bis sechs Prozent pro Dekade voraus. Das sind Millionen Hektar an landwirtschaftlich nutzbarer Fläche, die jährlich aufgrund von Dürre, Hitze, Überschwemmungen, Superstürmen, Wetterschwankungen, Jahreszeitenverschiebungen, Insektenbefall und anderen Symptomen der Erderwärmung verloren gehen."
– Time Magazine, 28. August 2019

 

Trotz der Komplexität die Auswirkungen des Klimawandels auf die landwirtschaftliche Produktivität und die Ernährungssicherheit zu bestimmen besteht ein breiter Konsens darüber, dass sich die Nahrungsmittelversorgung verschlechtern wird. Die LMICs werden davon am schwersten betroffen sein, vor allem die ärmsten Bevölkerungen, und insbesondere die in Subsahara-Afrika lebenden Menschen, die immer noch 40 bis 60 Prozent ihrer Einkommen für Lebensmittel ausgeben (vier- bis fünfmal so viel wie die Verbraucher in reichen Ländern). Ein Nahrungsmittelprognosemodell des IFPRI zeigt die Erhöhung des Hungerrisikos im Jahr 2050 basierend auf langfristigen Temperatur- und Niederschlagsveränderungen an. Im Jahr 2019 litten bereits 690 Millionen Menschen (oder fast zehn Prozent der Weltbevölkerung) an Unterernährung und die Modellergebnisse legen nahe, dass in nur wenigen Jahren jährlich weitere 80 Millionen Menschen aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels von Hunger betroffen sein könnten, mit steigender Tendenz in Richtung Jahr 2100.

 

Die Schätzungen für 2050 würden erheblich höher ausfallen, wenn lokale Wetterschocks und vom Klima verursachte Katastrophen wie Dürren, Überschwemmungen, Stürme und Waldbrände berücksichtigt worden wären, da mit einer Zunahme der Anzahl und Intensität aller dieser Faktoren zu rechnen ist. Pflanzenkrankheiten und Schädlingsbefälle, die ebenfalls zunehmend im Zusammenhang mit dem Klimawandel und der Umweltdegradation stehen, würden zu einem weiteren Anstieg der Zahlen führen. Hierzu gehören unter anderem die vor Kurzem aufgetretene Heuschreckenplage in Afrika und die Zunahme der Herbst-Heerwurm-Populationen in Afrika und Asien, jedoch auch das Auftreten zoonotischer Krankheitserreger wie Coronaviren.

 

"Diese äußerst mobilen Kreaturen können täglich 80 Meilen zurücklegen. Ihre Schwärme, die aus gut und gern 80 Millionen adulten Heuschrecken pro Quadratkilometer bestehen können, benötigen täglich dieselbe Menge an Nahrung wie ca. 35.000 Menschen."
– New York Times, 21. Februar 2020

 

Eine niedrigere Lebensmittelproduktion führt dazu, dass die Lebensmittelpreise steigen und die Lebensmittelnachfrage sinkt, da sich ärmere Menschen vor allem teurere, jedoch nährstoffreiche und für eine gute Gesundheit essenzielle Lebensmittel nicht (mehr) leisten können, zum Beispiel Milch, Eier, Fleisch, Obst und Gemüse. Bereits vor der Pandemie konnten sich 85 Prozent der Bevölkerung in Subsahara-Afrika und 76 Prozent der Bevölkerung in Südasien nicht ausreichend gesund ernähren, da ihr Einkommen angesichts der hohen Lebensmittelpreise zu niedrig war. Die Situation ist ähnlich für ärmere Menschen in anderen Regionen der Welt.

 

Unterernährung und Nährstoffmangel – der Mangel an lebenswichtigen Vitaminen und Mineralien – verursachen als direkte Folge eine Wachstumshemmung bei Kindern, die häufig zu schlechter entwickelten kognitiven Fähigkeiten, schlechteren Erwerbsmöglichkeiten im späteren Lebensverlauf, höherer Anfälligkeit für Krankheiten sowie einer erhöhten Sterblichkeitsrate führen.

 

"Laut UNICEF werden Lockdowns, die zur Eindämmung der Pandemie verhängt wurden, dieses Jahr in den armen Ländern 250 Millionen Kinder ihrer geplanten Versorgung mit Vitamin-A-Nahrungsergänzungsmitteln berauben und das Risiko vorzeitiger Todesfälle erhöhen."
– New York Times, 11. September 2020

 

Wird das Wachstum in einem sehr frühen Alter gehemmt, kann dieser Prozess normalerweise nicht mehr nachgeholt werden, was die Entstehung einer „verlorenen“ Generation zur Folge hat, die dauerhaft an der Entwicklung gehindert wurde. Um den Energiegrundbedarf abzudecken, konsumieren arme Familien mehr Grundnahrungsmittel (je nach Region Getreide oder Cassava und andere Wurzeln oder Knollen), deren Preise auf Kosten-pro-Kalorie-Basis betrachtet ebenfalls steigen, jedoch unter den Preisen für nährstoffreiche Lebensmittel bleiben werden.

 

Um diese Herausforderungen zu meistern, widmet sich die Biofortifikationsinitiative von CGIAR der Anreicherung von Nutzpflanzen, aus denen kostengünstige Lebensmittel erzeugt werden, mit essenziellen Mikronährstoffen. Dieses Projekt ist umso wichtiger, weil die für den Klimawandel verantwortlichen erhöhten CO2-Werte direkt dazu führen, dass sich der Gehalt lebenswichtiger Nährstoffe wie Eisen, Zink und Eiweiß in den wichtigsten Grundnahrungspflanzen wie Weizen, Reis, Gerste und Sojabohnen verringert.

 

Der Klimawandel trägt zudem zu einer höheren Anreicherung von Aflatoxinen bei, einer Familie von Toxinen, die von bestimmten Pilzen produziert werden, welche die wichtigsten Nutzpflanzen, insbesondere Mais und Erdnuss, in tropischen Gebieten zwischen dem 40. nördlichen und dem 40. südlichen Breitengrad befallen und somit die meisten afrikanischen Länder betreffen. Die Regionen, die einem Risiko für Aflatoxinbildung ausgesetzt sind, werden aufgrund des Klimawandels immer größer und umfassen inzwischen auch Teile Europas. Eine solche Verunreinigung auf dem Feld tritt vermehrt bei heißen, trockenen Wetterbedingungen auf, wenn die Nutzpflanzen gestresst und für abiotische Belastungen, zum Beispiel einen Pilzbefall, anfällig sind. Das Phänomen verstärkt sich, wenn feuchte Umgebungsbedingungen herrschen und die Trocknung für die Lagerung und den Transport unzureichend ist. Die regelmäßige Aufnahme von Aflatoxinen mit Mais und Erdnüssen ist mit gehemmtem Wachstum, dem Auftreten von Leberkarzinomen und Immunsuppression assoziiert; die Aufnahme hoher Mengen kann sogar einen tödlichen Ausgang haben.

 

Die Auswirkungen des Klimawandels gehen weit über den Hunger und Erkrankungen hinaus – und führen zur Auswanderung von Familienmitgliedern oder ganzer Familien, wenn sie es sich leisten können. Dürreperioden sind mit vermehrten HIV-Fällen bei Frauen assoziiert, wahrscheinlich aufgrund sexueller Handlungen im Austausch gegen Geld oder Güter oder aufgrund eines unfreiwilligen Wegzugs, um Einkommen zu generieren und Lebensmittel kaufen zu können, sowie mit partnerschaftlicher Gewalt gegen Frauen .

 

"Während der Dürrezeit und bei großflächigen Ernteausfällen im afrikanischen Sahel wandern Millionen Menschen aus den ländlichen Gebieten in die Küstenregionen und die Städte."

– New York Times, 23. Juli 2020

 

Was kann getan werden, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Ernährungs- und Nahrungsmittelsicherheit zu reduzieren? Um den Klimawandel zu bekämpfen, müssen wir die Züchtung solcher Nutzpflanzen beschleunigen, die resilient gegen den Klimawandel und damit assoziierten Pflanzenkrankheiten sind, und den Nährwert der Nutzpflanzen erhöhen (unter anderem durch Biofortifikation). Gleichzeitig kann die Züchtung von Pflanzenmerkmalen, die zu einer höheren Stickstoff- und Phosphoreffizienz führen, zur Reduzierung der Umweltauswirkungen der Landwirtschaft beitragen. Eine nachhaltige Unterstützung der landwirtschaftlichen Forschung und Entwicklung kann die Züchtungserfolge verbessern und erweitern und zu der Identifizierung von Tierhaltungssystemen beitragen, die pro Liter Milch, Dutzend Eier und Kilogramm Schlachtkörpergewicht weniger Emissionen produzieren, um nur einige positive Effekte zu nennen.

 

Angesichts der zunehmenden Inzidenz von extremen Wetterereignissen müssen wir die globalen Handelswege für Lebensmittel offen halten, die vorhandenen Barrieren abbauen und sicherstellen, dass die Länder auf Klimaschocks und sonstige Ereignisse nicht nur passiv reagieren.

 

"Die [von Zyklon Idai verursachten] Überschwemmungen haben laut Regierung unmittelbar vor der Ernte mehr als 700.000 Hektar Ackerland zerstört. Das entspricht etwa der dreifachen Fläche des Saarlands. Etwa eine halbe Million Kleinbauern und deren Familien haben zum Teil ihre Lebensgrundlage verloren."
– Spiegel, 14. April 2019

 

Zahlreiche LMICs sind auf Lebensmittelimporte aus Regionen mit gemäßigterem Klima und offene Handelsbeziehungen angewiesen, um ihren aktuellen Lebensmittelbedarf zu decken, da ihre landwirtschaftliche Produktivität und die entsprechende Investitionskraft seit Jahrzehnten schwächeln.  Die Ausweitung des Handels und der Ernährungshilfe als Antwort auf klimabedingte humanitäre Krisen bietet zwar eine Lösung, allerdings ist die Lebensmittelproduktion auch in den reicheren Ländern betroffen und der Handel allein wird nicht ausreichen, um eine vom Klimawandel verursachte Nahrungsmittelknappheit in den armen Ländern abzuwenden.

 

In Ergänzung zu diesen Investitionen und Einrichtungen müssen wir alle zu einer effektiveren Senkung des klimabedingten Risikos sowie zur Verbesserung der Ernährungssicherheit beitragen. Entsprechende Maßnahmen sollten unter anderem Folgendes beinhalten: einen verbesserten Zugang für Landwirtinnen und Landwirte zu nachhaltigen Wasserressourcen für die Lebensmittelproduktion, Ernährung und Resilienz; die Bereitstellung von sauberen Energiequellen für alle Personen weltweit; die Ausweitung von Klimainformationsdiensten sowie der sozialen Sicherheitsnetzwerke für Personen, die von negativen Klimaereignissen am schwersten betroffen sind; und die gleichzeitige Verbesserung der Gesundheit der Ökosysteme, die für die Aufrechterhaltung der Kernfunktionen, die unseren Ernährungssystemen zugrunde liegen, eine zentrale Rolle spielen.

 

Keine dieser Maßnahmen dient direkt einer erheblichen Senkung der Emissionen, da der Großteil der Emissionen nicht in den ärmsten Ländern, sondern im Globalen Norden entsteht. Infolgedessen müssen wir nicht nur die dringend benötigten Investitionen in die Anpassung der ärmeren Länder an die Folgen des Klimawandels tätigen (nach Möglichkeit in Verbindung mit einer Emissionssenkungen), sondern auch die effiziente Reduzierung von Emissionen, die in reichen Ländern generiert werden, zur Priorität erklären. Jeder ist zur Handlung aufgerufen und jeder kann einen Beitrag leisten.  Die EU hat neue Umweltvorschriften erlassen, um die Biodiversität zu erhalten und den Klimawandel zu bekämpfen. Obwohl diese Vorschriften für die Bekämpfung des Klimawandels unerlässlich sind, kann eine unsachgemäße Umsetzung die Ernährungsunsicherheit in armen Ländern sowie die Abholzung von Regenwäldern verstärken.

 

Auch wenn es uns vermutlich nicht gelingen wird, den weltweiten Temperaturanstieg unter 1,5 °C zu halten, können wir die Zunahme von Emissionen erheblich verlangsamen und die nachteiligen Folgen für die Ernährungssicherheit und die Lebensgrundlage der ärmsten Bevölkerungen eindämmen. Wenn wir Leben und Lebensgrundlagen retten wollen, müssen wir jetzt handeln!

 

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