Frau Neubert, was ist ein Trilemma? Und was lässt sich dagegen tun?

Klimawandel, Hunger und weniger Natur sollten gleichzeitig adressiert werden, fordert Susanne Neubert. Die promovierte Agrarökonomin und Ökologin schrieb an einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen mit.

Frauen an ihren Marktständen. (c) GIZ / Shilpi Saxena

Von Susanne Neubert

(c) Dennis Williamson

Susanne Neubert ist promovierte Agrarökonomin und Ökologin mit dem regionalen Schwerpunkt Afrika. Seit 2012 ist sie Direktorin am Seminar für Ländliche Entwicklung (SLE).

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Seminar für Ländliche Entwicklung (SLE)

Welthungerhilfe

Wie greifen Klimakrise, Ernährungskrise und Vernichtung von Biodiversität ineinander?

Es ist ein Trilemma. Diese drei Krisen müssen wir gleichzeitig adressieren – und nicht einzeln. Ansonsten kommen wir zu Maßnahmen, indem wir das eine auf Kosten des anderen lösen.

 

War das bisher so?

Ja, in etlichen Fällen. Der Bericht des Weltklimarats (IPCC) zum Beispiel ignoriert bei seinen Empfehlungen zur CO2-Speicherung mögliche Zerstörungen von Biodiversität, und andererseits gibt es Naturschützer*innen, die 50 Prozent aller Flächen unter Schutz stellen wollen – was bei einer wachsenden Bevölkerung regional nicht ernährungssicher wäre. Doch man sollte auch nicht nur an Ernährung denken, wie es oft in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit geschieht: Die hat Naturschutz und Biodiversität nur bei speziellen Projekten, aber nicht bei solchen zur Optimierung landwirtschaftlicher Wertschöpfungsketten im Blick. Dieses Trilemma - Klima-, Biodiversitäts- und Ernährungskrise - kann man nicht einfach so überwinden, sonst wäre es keines. Aber eine Entspannung zwischen diesen Konkurrenten ist machbar. Und notwendig.

 

Sie nennen im Gutachten Mehrgewinnstrategien, um die Negativfolgen dieses Trilemmas zu reduzieren. Wie sehen die aus?

Ein Beispiel: Wenn es um Forst- und Ackerflächen geht und es Sinn macht, beides zu erhalten – wegen der Speicherung von CO2 einerseits und wegen der Ernährung andererseits –, dann wird eben Agroforstwirtschaft betrieben, bei der verschiedene Flächen zusammen gesehen werden. Auch auf den meisten Naturschutzflächen können Schutz und Nutzung integriert werden, dort bietet sich eine wirklich nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung zur Erhaltung genetischer Ressourcen, aber auch zur Ernährungssicherung indigener Bevölkerung an. Solche Ansätze sind Mehrgewinnstrategien, d.h. sie helfen allen Trilemma-Ecken mehr oder weniger ausgeprägt.

 

Der Blick sollte also geweitet und Scheuklappen-Denken vermieden werden. Sehen Sie dann industrielle Landwirtschaft und Subsistenzlandwirtschaft in einer Sackgasse?

Wir können diese zwei Formen der Landwirtschaft als Gegensatzpaar verstehen. Je mehr sich industrielle Landwirtschaft von den lokalen Nährstoffkreisläufen abkoppelt, desto weniger effizient wird sie: Böden sind dann zum Beispiel weltweit in Überflussgesellschaften (Nordamerika, Europa, Regionen Asiens) überdüngt. Und andererseits haben wir eine ressourcenarme kleinbäuerliche Landwirtschaft vor allem in afrikanischen Ländern, aber auch in Indien und anderen Ländern Südasiens, die viel zu wenig Dünger einsetzt, also Tier-, Pflanzen- und Mineraldünger. Durch dieses mangelnde Nährstoffmanagement wird der Boden komplett ausgelaugt. Auch diese Landwirtschaft ist ineffizient und braucht immer wieder neue Flächen, die im Klimagjargon „Landnutzungsänderung“ genannt werden. Die industrielle Landwirtschaft dagegen ist zwar ertragsreich, hat aber ökonomisch sinkende Grenzerträge durch riesige Verschwendungen.

 

Durch eine ökologische Intensivierung kann ein Effizienzzuwachs für beide Seiten erreicht werden, also weniger Input bei mehr Output.

 

Was kann getan werden?

Wenn man beides in einer Grafik ansieht, wird klar: Durch eine ökologische Intensivierung kann ein Effizienzzuwachs für beide Seiten erreicht werden, also weniger Input bei mehr Output. Die Ökosystemleistung wie Bodenfruchtbarkeit mithilfe Milliarden von Bodenorganismen, die notwendig sind, um den Nährstoffkreislauf (Metabolismus) zu schließen oder Bestäubung durch Bienen bekommen wir ja kostenlos von der Natur. Wir sollten sie nutzen und vermehren. Das würde sich auch kostenmäßig auswirken.

 

Was heißt das für Europa?

Dass wir weg müssen von bisherigen Subventionen in der gemeinsamen Agrarpolitik, wie den Flächensubventionen und der Subventionierung der Tierhaltung sowie den fossilen, auf Ölvorkommen basierten Düngemitteln. Weg davon! Durch die Förderung grüner Maßnahmen und einer flächengebundenen Tierhaltung, bei der – nur ein bis eineinhalb Großvieheinheiten pro Hektar erlaubt sind – übrigens wie früher –; denn mehr verträgt der Boden und unser Grundwasser schlichtweg nicht. Wenn nun jemand sagt, warum brauchen wir überhaupt Unterstützung der Bauern, da kann ich nur sagen, in allen Teilen der Welt wird Landwirtschaft subventioniert, weil sie sich anscheinend ohne eine solche Unterstützung nicht lohnt und zu einem schnellen Bauernsterben führt. Das ist ein großes Thema, das man sich noch einmal getrennt vor Augen führen müsste. Also rühren wir diesen Punkt jetzt nicht an, stellen aber fest, dass wir – wenn die Gesellschaft schon dafür zahlt – dann jedenfalls andere Subventionen benötigen, die die Natur nicht zerstören. Und einfache Regeln: Indem eine diversifizierte, also eine artenreiche Landwirtschaft gefördert wird, die mit einer gesunden, ebenfalls abwechslungsreichen Ernährung der Bevölkerung einhergeht.

 

Ein Farmer hält eine Schale mit geerntetem Cassava. (c) GIZ/ Helmut Viertel

Das geht auf Kosten des Ertrags…

…natürlich müssten wir da ein wenig runtergehen. Aber wir hätten eine nachhaltige Landwirtschaft, die wieder Landschaftsqualitäten vorwiese. Mehr als 70 Prozent unserer landwirtschaftlichen Fläche in Europa wird heute für Tierhaltung und Tierfutteranbau genutzt. Wenn wir die Tierhaltung verringern, brauchen wir weniger Fläche dafür und können stattdessen nachhaltiger anbauen.  

 

Die Deutschen sind Fleischesser. Woher soll das Fleisch kommen?

So viel Fleisch können wir uns nicht mehr leisten, denn viele Leute sind heute über- und fehlernährt und werden Opfer von Wohlstandskrankheiten wie Diabetes und Adipositas. Industrielle Ernährung ist keine gesunde Ernährung. Wir müssen uns also umstellen und fleischärmer essen sowie den Konsum von Milch und Käse reduzieren.

 

Essgewohnheiten lassen sich nicht so rasch ändern. Fleisch, Wurst, Milch und Käse erscheint so traditionell.

Es ist gar nicht so traditionell verankert. Das haben wir zwar so gelernt, und ich habe das früher auch immer gesagt. Aber in Wahrheit hat sich unsere Ernährung in Richtung dieser Tierproduktlastigkeit erst innerhalb der letzten 30 Jahre so eingestellt. Erst heutzutage wird mit Tierprodukten Werbung gemacht, als wären sie Abfall – besonders billige, unterhalb des Produktionspreises angebotene Fleischprodukte in Supermärkten sollen gekauft werden, um als Lockmittel für wieder andere Sachen wie „Wattepads“ zu dienen. Hier ist es also relativ kurzfristig möglich zu handeln. Um die Klimakrise in den Griff zu bekommen, müssen wir nun – nachdem wir so lange gewartet haben, nun eben kurzfristig und rasch unsere Ernährung ändern – weniger Fleisch und Milch, wie es auch Tradition in Deutschland und in Europa war.

 

Schon jetzt produzieren wir global gesehen genügend Kilokalorien, um 2050 die Weltgesellschaft zu ernähren. Aber unsere Landwirtschaft ist zu emissionsstark und vernichtet Biodiversität.

 

Solche Senkungen von landwirtschaftlichen Erträgen würden kein Problem darstellen?

Schon jetzt produzieren wir global gesehen genügend Kilokalorien, um 2050 die Weltgesellschaft zu ernähren. Aber unsere Landwirtschaft ist zu emissionsstark und vernichtet Biodiversität. Wenn wir damit aufhören würden, könnten wir die jetzigen Kilokalorien qualitativ aufwerten, indem wir auch andere Kulturarten und die gesamte Landwirtschaft nachhaltiger gestalten. Das Flächenproblem würde sich auch erübrigen, wenn wir weniger davon für unsere Tiere benötigten.

 

Wie ginge ein Umbau hin zu einer gesamten ökologischen Landwirtschaft unter marktwirtschaftlichen Bedingungen – würde das sich rechnen?

Die Subventionen – die es heute schon gibt – würden nur in Richtung Umweltverträglichkeit und Artenvielfalt umgelenkt werden. Es gibt eine ellenlange Positivliste von Maßnahmen, die ergriffen werden können, sei es Wurzelintensivierung bei Ackerkulturen, konservierende Landwirtschaft, Agrophotovoltaik, Reis-Fisch-Azolla-Kulturen, Landwirtschaft auf wiedervernässten Moorböden, regenerative Landwirtschaft, Agroforstwirtschaft oder Permakultur. Die Liste ist wirklich lang und ich habe hier nur einige Landwirtschaftsformen genannt.  

 

Wie sieht es aus mit Exporten landwirtschaftlicher Produkte von Europa nach Afrika?

In afrikanischen Ländern wächst die Bevölkerung noch mittelfristig an. Schon jetzt tätigen die meisten afrikanischen Länder Nahrungsmittelimporte in stark steigendem Ausmaß. Was wir also an Erträgen reduzieren sollen, müsste dort umgekehrt an Erträgen und gleichzeitig an ihrer Stabilität zunehmen – durch verschiedene Maßnahmen, zum Beispiel durch bedarfsgerechte Düngung, durch organische Landwirtschaft und Climate Smart Agriculture. Insgesamt sollte eine Landwirtschaft nach den Prinzipien der Agrarökologie auf Grundlage eines Landschaftsansatzes verfolgt werden. Mineraldüngung ist auch nötig, aber längst nicht im Ausmaß, wie wir es bisher in Europa machen. Es ist vor allem in semiariden Regionen unrealistisch, gar keine Mineraldüngung einzusetzen, denn Biomasse, die für organische Düngung notwendig ist, ist dort aufgrund des Wassermangels systematisch knapp. In Afrika wird derzeit nur ein Fünfzehntel der Nährstoffmengen gedüngt wie in Europa. Das kann ruhig verdoppelt oder verdreifacht werden, wenn die Europäer und andere Industrieländer reduzieren.

 

 

Wenn unsere Nahrungsexporte in afrikanische Länder mittelfristig sinken sollen – sollen dann auch überregionale Lieferketten geschwächt werden?

Man sieht doch nun angesichts der Corona-Pandemie, dass viele Menschen in Afrika wegen zerbrochener Lieferketten hungern. Natürlich sollten Exporte bereitgestellt werden, wenn Afrikaner*innen dies kaufen müssen und wollen, aber nicht in dem aktuellen Ausmaß. Die Afrikaner*innen müssen ihre Ernährung selbst sichern können und dabei ihre Produktivitäten in der Tat ungefähr verdreifachen. Dies aber wird sehr schwierig sein, weil derzeit fast der gesamte Produktionszuwachs über Flächenumwandlungen geschieht. Flächenumwandlungen aber zerstören viel Naturland-Biodiversität und erzeugen darüber hinaus auch relevante Emissionen: Da sind wir wieder beim Trilemma. Es braucht daher eine ertragsreiche und nachhaltige Landwirtschaft, welche den Pflanzenanbau und die Tierhaltung wieder verkoppelt. Viehhirten und Ackerbauern könnten dabei wieder zusammenarbeiten und somit voneinander profitieren. Der Pflanzenbau kann von den Exkrementen der Tiere und die Tierhaltung von dem Verzehr der Erntereste profitieren.  Eine gemeinsame Landnutzungsplanung mit Hilfe eines integrierten Landschaftsansatzes wäre somit eine aktive Friedensarbeit: Heutige Konkurrenten könnten wieder zusammenarbeiten und müssten sich nicht mehr bekämpfen. Solch eine Perspektive wäre also eine ausgesprochene Mehrgewinnstrategie, wie sie vom WBGU angestrebt wird.

 

Eine gemeinsame Landnutzungsplanung mit Hilfe eines integrierten Landschaftsansatzes wäre somit eine aktive Friedensarbeit: Heutige Konkurrenten könnten wieder zusammenarbeiten und müssten sich nicht mehr bekämpfen.

 

Nachhaltige Landwirtschaft in Burkina Faso. (c) GIZ

Kehren wir zurück nach Deutschland: Die Anzahl der Höfe sinkt, das Land leert sich, der soziale Zusammenhalt bröckelt. Wie schaffen wir Lebensperspektiven in ländlichen Räumen?

Das ist eine wichtige Frage. Wir können die Subventionen so umlenken, dass es sich auch für kleinere bäuerliche Betriebe lohnt, ihre Arbeit aufrecht zu erhalten, indem wir beispielsweise nicht für die schiere Anzahl der Hektar bezahlen, wie es derzeit der Fall ist. Unter anderem müssten ländliche Räume auch in Hinsicht auf Kultur- und Bildungsangebote attraktiver gemacht werden – also nicht nur durch eine funktionierende Wirtschaft. Alle Sektoren könnten durch eine stark verbesserte Digitalisierung zukunftsfähig gemacht werden, sodass dort neben Landwirtschaft auch andere Arbeitsplätze entstehen und vielfältige Berufe lohnend ausgeübt werden können.

 

Soll den Landwirt*innen tatsächlich gesagt werden, wie sie wirtschaften sollen?

Man muss Freiheit lassen, aber in einem gewissen Korridor – eben mit dem Anreiz, ökologisch und nachhaltig zu wirtschaften. Ich kann mir vorstellen, dass es Landwirt*innen auch viel mehr Spaß macht, im Einklang mit der Natur zu wirtschaften und gemeinsam mit anderen Bevölkerungsteilen an der Erhaltung attraktiver Landschaften zu arbeiten.  Landwirte haben sich ja früher eigentlich als Naturschützer*innen und Landschaftspfleger*innen gefühlt und offiziell verstanden. Es kann doch nicht sein, dass heute Bäuer*innen mit wachsender Energie die Natur zerstören und dann noch behaupten, sie würden es nicht tun. Sie wissen doch, was sie tun! Dass sie zum Beispiel die Zerstörung der Insektenwelt auf dem Gewissen haben…aber sie wissen keine Alternative und weigern sich, diese Realität als solche anzuerkennen, denn dann müssten sie sie verändern.

 

Mehr als 70 Prozent unserer landwirtschaftlichen Fläche in Europa wird heute für Tierhaltung und Tierfutteranbau genutzt. Wenn wir die Tierhaltung verringern, brauchen wir weniger Fläche dafür und können stattdessen nachhaltiger anbauen.

 

…vielen Landwirt*innen geht es nicht besonders gut.

Sie stehen unter einem immensen Konkurrenzdruck, dass sie denken, sie hätten keine andere Wahl, als weiter so zu machen, ansonsten müssten auch sie die Tore schließen. Es wäre auch eine Befreiung für die Landwirt*innen, wenn sie zugeben würden, dass Landwirtschaft der Hauptzerstörer von Biodiversität in Deutschland und in Europa ist und dass sie die Unterstützung der Gesellschaft benötigten, um nun anders weiterzumachen.

 

Wenn man diesen Weg geht, würden die Verbraucherpreise steigen. Wie geht man damit um?

Die Preise müssen steigen. Es kann nicht sein, dass heute ein männliches Kalb eines milchbetonten Einnutzungsrindes neun Euro kostet. Dass Bäuer*innen ihre Kälber eher umbringen als sie zu verkaufen, weil sie auf dem Markt nichts wert sind – das ist für mich Alarmstufe rot. In der sich auch die Bauern nicht mehr wohl fühlen können. Ich glaube daher daran, dass auch Landwirte aus dieser Negativspirale herauswollen.

 

Und wer sich das nicht leisten kann?

Wenn Sie von den Konsumenten sprechen, dann müssen diese eben mehr Hartz IV bekommen, einen Ausgleich an anderer Stelle bekommen. Zum Beispiel pro Haushalt 100 Euro mehr – dann wäre das Geld für teurere Nahrungsmittel da. Derzeit geben wir durchschnittlich nur 14 Prozent unseres Einkommens in Deutschland für Nahrungsmittel aus. Das ist deutlich zu wenig. Ich habe da kein Mitleid: Wer den Fleischkonsum halbiert, hat genügend Geld für Gemüse. Dieses ist ja auch billiger als Fleisch. Das bedeutet, dass jeder seine Wahl hat, sich mit dem gleichen Einkommen deutlich gesünder zu ernähren und gleichzeitig der Naturerhaltung hilft.

 

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