Über die eigene Scholle hinaus
Ein Austauschprogramm für deutsche und ugandische Junglandwirt*innen zeigt: Es gibt eine gemeinsame Erde, eine unterschiedliche Vielfalt sie zu bearbeiten – und noch mehr voneinander zu lernen.
Als Brigitte Basedau ankam, weit weg von den Landmaschinen ihrer schleswig-holsteinischen Heimat, fühlte sie sich zuerst ausgebremst und dann weniger abgelenkt, auf der Farm von Joseph Male unweit Kampalas in Uganda. Aber schließlich schärfte sich ihr Blick. „Als Kind hatte ich mal Kresse gepflanzt, aber einer einzelnen Tomatenpflanze vom Säen bis zur Ernte zuzusehen wie auf der Farm in Uganda, diese Erfahrung nahm ich mit zurück nach Deutschland“, sagt die angehende Landwirtin. Drei Monate, von Oktober 2019 bis Januar 2020, praktizierte sie bei Male. „Den Fokus auf die einzelne Pflanze habe ich dort gelernt. In Deutschland war ich gewohnt gewesen, auf alles Grünende eines Ackers als Gemeinschaft zu schauen, in Strukturen zu denken“, zieht die Mittdreißigerin heute, etwas mehr als ein Jahr später, Bilanz. „In der ugandischen Landwirtschaft dagegen wird mehr gefragt: ‚Was ist möglich? Was kann ich mit den vorhandenen Mitteln erreichen?‘ Da zählt jede einzelne Pflanze.“
Die drei Monate möchte sie nicht missen. Basedau nahm teil am Praktikantenaustauschprogramm der Schorlemer Stiftung des Deutschen Bauernverbandes e. V. (DBV), gefördert im Rahmen der Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Seit 2019 gastieren im wechselseitigen Austausch Junglandwirt*innen auf deutschen und ugandischen Höfen. Die Teilnehmenden lernen die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen kennen und die Möglichkeiten, sich ihnen anzupassen. Sie lernen voneinander Kniffe und Techniken. Und sie lernen einzutauchen in eine andere Kultur. Projektpartner ist die Andreas Hermes Akademie (AHA), in Uganda arbeitet man mit UNYFA zusammen, der „Young Farmers‘ Federation of Uganda“, die das Praktikantenaustauschprogramm organisiert.
Für Basedau, die gerade ihren Bachelor in Agrarökonomie abschließt, war es ein Intensivkursdurch die Landwirtschaft des gesamten ostafrikanischen Staates. Male betreibt nicht nur eine Farm. Seine „Avail-Group“ betreibt auch einen Hof zur Demonstration von Anbautechniken und berät andere Landwirt*innen. Mit ihm bereiste sie in den drei Monaten zahllose Höfe, begutachtete Böden und beratschlagte mit ihm Problemlösungen und Verbesserungsmöglichkeiten. „Ich lernte viel über Beschnitt und Bewässerung. In Uganda ist es oft heiß, trocken und dann stark niederschlagsreich. Typische und bisher zuverlässige Wetterperioden treten durch den Klimawandel weniger oder verschoben auf, ein Problem, das uns in Deutschland auch betrifft.“
Beeindruckt zeigte sie sich etwa von der tradierten Form, Fischteichwasser, zur Bewässerung und zum gleichzeitigen Düngen zu verwenden, um Kosten zu sparen, da weniger synthetischer Dünger zugekauft werden muss. „Male nutzt grundsätzlich viel selbst hergestellten organischen Dünger und probiert diesen in einem Wasserfass mit Wasserlilien aus, um die optimale Einsatzmenge zu bestimmen.“
Basedau ist auf einem Hof in Schleswig-Holstein groß geworden, die studierte Lehramtlerin für Wirtschaftspolitik und Englisch wird ihn in diesem Sommer übernehmen. „Er ist seit dem 16. Jahrhundert in Familienbesitz. Meine Geschwister sind Ärzte geworden und wollen nicht – nun ist es an mir.“ Daher das Studium der Agrarökonomie und große Freude über das sich nähernde Abenteuer Hof: Den Ackerbaubetrieb wolle sie ökologisch umstellen. Das Praktikum in Uganda bestritt sie, um ihren Horizont zu erweitern, um sich für den eigenen Hof zu wappnen. „In Uganda habe ich viel Neues gesehen“, sagt sie. „Es ist mehr ein Garten- und Gemüseanbauland.“ Das habe sie anfangs überfordert. „Aber mich faszinierte, dass man in Uganda näher an der Pflanze dran ist, mehr mit der Hand arbeitet und sie begleitet.“
Schließlich habe sie auch viel auf der zwischenmenschlichen Ebene gelernt. „Ich bin eigentlich recht ungeduldig. In Uganda lernte ich mit Dingen zu leben, die man nicht ändern kann. Und dass man an seine Ziele glauben muss.“ Zurück in Deutschland habe ihr diese Einstellung geholfen, die pandemiebedingten Maßnahmen und Einschränkungen anzunehmen. „Ich konzentriere meine Energien auf Positives.“
Joseph Male lächelt, als er ihre Bilanz hört. Und bestätigt: „Wir sind unterschiedliche Persönlichkeiten, teilen aber die Leidenschaft für das Land und den Anbau.“ So manche Strategie für einen Acker hätten sie gemeinsam erarbeitet. „Wir agierten sofort als Team, als hätten wir seit Jahren zusammengearbeitet. Noch heute haben wir täglich per WhatsApp Kontakt miteinander.“ Male, 35, sitzt in einem Auto, per Zoom schaltet er sich auf seinem Smartphone zu. Gerade kommt er von einem Hof mit sechs Treibhäusern für scharfe Peperoni und Tomaten. „Die Peperoni werden hierzulande kaum gegessen, sind aber ein gutes Exportgeschäft.“
Gemeinsam mit Basedau hatte er die Setzlinge dem Hof geliefert und checkt nun den Fortgang. „Bei den Tomaten gibt es Probleme mit Mottenschildläusen. Dann sah ich, dass ein Fenster nicht immer geschlossen war; in der Nähe ist eine Maniokplantage, welche die Tiere anlockt.“ Was, glaubt er, hat Basedau von ihrem Praktikum mitgenommen? „Dass man sich hier mehr einlassen muss, auf mehrere Faktoren, auf die Umstände der Landwirtschaft, auf eine nötige Flexibilität.“ Auch denke mancher Europäer bei Afrika nur an Schattenseiten wie Armut. „Den lustigen Lifestyle hat Brigitte auch kennengelernt!“ Und: „Sie hat gesehen, wie hart die Menschen arbeiten, auch durchaus länger.“
Den umgekehrten Weg hat Nehemiah Buwuule eingeschlagen. Er reiste von seinem Obstanbauhof im Luweero-Distrikt ins Rheinland, zum Obsthof der Feltens in Meckenheim. „Ich wollte einmal Obstanbau unter anderen klimatischen Bedingungen kennenlernen“, sagt Buwuule, 38, am Handy. Wir telefonieren per WhatsApp, gerade sitzt er mit seiner Familie in einem Restaurant und isst ein Rindfleisch-Stew mit Reis. „Bei uns in Uganda dient Landwirtschaft oft zur Lebensgrundlage und ist weniger ein Business.“ Aber gerade Geld mit den eigenen Produkten zu verdienen, das fasziniere ihn. „Mich überraschte, dass Manfred seine Äpfel in einem kalten Raum fünf Monate lang lagern kann“, sagt er. „Das ist sehr gut. Bei uns sind die Nachernteverluste einfach zu groß.“
Nach seinen drei Monaten hat Buwuule Kooperationspartner gesucht, nun hat er sich mit drei Leuten zusammengetan: Ein kalter Lagerungsraum ist in Planung. „Ich habe auch realisiert, dass Anbau und Wasser getrennt voneinander gesehen werden können. Bei mir gibt es nicht genügend Wasser zur Produktivitätssteigerung. Daher plane ich den Bau eines Brunnens.“ Gerade menschlich habe er viel von den Feltens gelernt. „Wir haben uns sehr gut verstanden. Ich wurde aufgenommen wie ein Familienmitglied.“ Erste Anfangsschwierigkeiten wurden rasch überwunden. „Ich hatte meine wärmste Kleidung mitgenommen, aber das reichte für den Winter in Deutschland nicht aus. Zum Glück haben die Feltens mich sofort zum Einkaufen mitgenommen – danach ging es.“
Ferner habe ihn überzeugt, wie die Landwirt*innen in Deutschland versuchten, den Hof zusammenzuhalten. „Bei der Generationenübergabe gibt es in Uganda Probleme“, sagt er. „Das Land ist immer fragmentierter, und die Anbauflächen verkleinern sich wegen aufsplitternden Erbschaften.“ Er dagegen werde versuchen, Land zu kaufen, es zu halten und an seine
Es ist neun Uhr morgens. Die Wanduhr im Büro von Manfred Felten tickt laut, während er von seinem ehemaligen Praktikanten Nehemiah spricht. „Es machte einfach Spaß, mit ihm zusammen zu arbeiten“, sagt er. „Im Grunde wurde er für drei Monate Mitglied unserer Kernfamilie. Da stellten wir uns rasch aufeinander ein.“ Zum Beispiel beim Essen: Nehemiah sei eher schweres Essen gewohnt gewesen, zeigte sich aber interessiert an dem vielen Gemüse. „Nur bei Milchprodukten blieb er skeptisch. Die sind wegen der zuweilen auftretenden Kühlkettenprobleme in Uganda weniger üblich.“
Viel Zeit hat Felten nicht, er muss noch Äpfel zum Markt fahren. „Nehemiah baut ja auch Erdbeeren an. Aber in Uganda gibt es andere Kältephasen zur Blütenbildung. Man lernt die Frucht auf eine andere Art kennen.“ Auch habe ihn die höhere Mechanisierung in Deutschland interessiert, „zum Beispiel die computergesteuerte Düngung und Bewässerung unserer Erdbeeren in Tunneln unter einem Foliendach“. Zwar sei vieles nicht eins zu eins umsetzbar, die Probleme seien unterschiedlich, „wir kriegen zum Beispiel zu wenig Licht in die Apfelbäume, das ist in Uganda weniger der Fall“. Aber man könnte sich vielleicht etwas in der Organisation abgucken.
„Man nimmt immer etwas aus anderen Ländern mit. Ich reise auch viel und schaue gern, wie Landwirtschaft woanders funktioniert. Niemals aber würde ich mir herausnehmen und anderen sagen, wie sie ihren Hof betreiben sollen!“
Das viele gemeinsame Lachen und Singen, das Feiern von Weihnachten und Silvester mit ihm, vermisse er, sagt Felten. Über ugandische Lebensfreude habe er viel gelernt. Das Programm startete 2019 mit vier deutschen und fünfzehn ugandischen Landwirt*innen, dann kam Corona und unterband die Staffelübergabe an die zweite Generation. Die Zwischenzeit nutzte man mit Webinaren, in denen Inhalte und Erfahrungen ausgetauscht wurden. Ein Beispiel: Als der von der Schorlemer Stiftung eingeladene Referent Dr. Philipp Zimmermann über die Möglichkeiten von Insektenzucht als Basis für Tiernahrung sprach, inspirierte er sofort einen jungen Landwirt aus der Kapchorwa-Region des östlichen Ugandas. „Zur Fütterung seiner Hühner und Schweine nutzt er bisher Futter auf Basis von Fischmehl, welches seinen Ursprung im relativ weit entfernten Viktoriasee hat“, erzählt Zimmermann.
„Doch dies verteuert sich zunehmend aufgrund des zurückgehenden Fischbestands." Als Zimmermann – ein Veterinärmediziner, der den Informationsdienstleister „entosiast.de“ zum Potential von Nutzinsekten betreibt – im Herbst 2020 von Larven der Schwarzen Soldatenfliege als alternative Eiweißquelle für Tiernahrung berichtete, reagierte der Landwirt: Er ließ sich von Zimmermann vernetzen, absolvierte ein Training zur Zucht der Schwarzen Soldatenfliege an der Makerere-Universität in Kampala und baut seit Januar dieses Jahres seine eigene Fliegenzucht auf. Denn die Larven der Schwarzen Soldatenfliege sind Allesfresser Reststoffe aus der Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung und sogar Ausscheidungen von Mensch und Tier können von den Larven in hochwertiges Eiweiß umgewandelt werden. „Damit entwickelt sich“, sagt Zimmermann, „ein nachhaltiger Kreislauf“.
Zurück nach Meckenheim, und nach Kiel. Eine Reise zum Hof von Nehemiah hat sich Felten fest vorgenommen, „nach Corona“. Und auch Basedau fährt wieder nach Kampala. Die Banden, die das Austauschprogramm geknüpft hat, sie halten über drei Monate weit hinaus.