Wie wir das Recht auf Nahrung verwirklichen können
Stefan Schmitz leitet den Crop Trust. Bis 2019 war er Beauftragter für die Sonderinitiative EINEWELT ohne Hunger (SEWOH) im BMZ. Diese Konstellation ermöglicht es ihm, aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf die SEWOH zu schauen. Wir haben ihn gefragt, welche Aspekte der SEWOH aus der Perspektive eines multilateralen Akteurs wegweisend sein könnten, um globale Ziele wie die Erreichung von SDG 2 auf nationaler und globaler Ebene voranzutreiben?
Merkmal 1: Globale thematische Ansätze
Kein Menschenrecht wird weltweit so oft verletzt wie das Menschenrecht auf Nahrung. Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Ernährungsunsicherheit zählen zu den großen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und diese Herausforderungen sind eng miteinander verbunden. Die Verwirklichung des universellen Menschenrechts auf Nahrung und die großen Herausforderungen erfordern globale Anstrengungen, hinter denen sich kein Land verstecken kann. Konsequenterweise orientiert sich die thematische Struktur der Initiative an den Vorgaben der Sustainable Development Goals. Ein wesentliches Umsetzungsinstrument sind die sogenannten Globalvorhaben. Diese werden zwar im Kern, so soll es sein, bilateral mit einzelnen Partnerländern umgesetzt. Aber jenseits der bilateralen Umsetzung gibt es ein größeres Ganzes. Dieses besteht vor allem aus einem einheitlichen konzeptionellen Rahmen, der Möglichkeit des gegenseitigen Lernens und der Chance, Sichtbarkeit und Kommunikationsfähigkeit dafür zu nutzen, Themenschwerpunkte wie Ernährungssicherheit, Agrarinnovation und nachhaltige Landwirtschaft höher auf die internationale Entwicklungsagenda zu setzen und weitere Partner für gemeinsame Anstrengungen zu gewinnen.
Merkmal 2: Verknüpfung von Forschung und Praxis
Ein weiteres herausgehobenes Merkmal ist der Grundsatz, dass allen größeren Globalvorhaben begleitende Forschungsvorhaben zur Seite gestellt sind. Bei allen zentralen Aktivitäten war von Anfang an wichtig, nicht Bewährtes zu vervielfältigen, sondern neue Wege zu gehen, solide Analysen zur Grundlage der Arbeit zu machen, innovative Ansätze in der Entwicklungszusammenarbeit forschungsgestützt auszuprobieren und die messbaren Wirkungen von Maßnahmen zu reflektieren. Dieser Ansatz spiegelt insgesamt auch die gestiegene Bedeutung, die das BMZ dem Bereich Agrar-und Ernährungssystemforschung beimisst. Dies kommt vor allem auch durch die Unterstützung der Reform des CGIAR-Systems zum Ausdruck.
Merkmal 3: Multiakteurs-Orientierung und Dialog
Ebenso wichtig wie eine enge Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Forschung war die langfristige Kooperation mit der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft. Da die Finanzmittel für die Sonderinitiative nicht an bestimmte Umsetzungsmodalitäten gebunden sind, kann das gesamte Instrumentarium der Entwicklungszusammenarbeit angewendet werden, also auch die Instrumente öffentlich-privater Partnerschaften und Zuwendungen an zivilgesellschaftliche Projektträger. Aber mindestens ebenso wichtig wie die Multiakteurs-Kooperation auf Projektebene ist der angestoßene langfristige und projektübergreifende Dialog zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Die Gründung des Strategischen Begleitkreises zur Sonderinitiative Eine Welt ohne Hunger ist der vielleicht markanteste Unterfangen der Initiative neue Formen des Dialoges und der Zusammenarbeit zu etablieren. Diese Erfahrung in den Prozess des UN Food Systems Summits einzubringen könnte ein wichtiger Beitrag der SEWOH zur Gestaltung von Governance-Strukturen im Bereich Food Systems sein.
Merkmal 4: Raum für Multilaterales – Beispiel: Globaler Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt
Schließlich ermöglicht die Sonderinitiative auch Investitionen in und Mitwirkung an multilateralen Mechanismen. Dies fußt auf der festen Überzeugung, dass ohne enge internationale Zusammenarbeit eine Bewältigung der Klima-, Biodiversitäts- und Ernährungskrise definitiv nicht möglich ist. Die Leistung substanzieller Beiträge aus der Sonderinitiative an den Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt („Crop Trust“) ist eines der herausgehobenen Beispiele für diese Art des Engagements. Die Beiträge an den Crop Trust fließen in einen Bereich, der chronisch unterfinanziert und gleichzeitig von enormer strategischer Bedeutung ist. Sie flankieren die Unterstützung der Reform des CGIAR-Systems durch das BMZ und gehen mit dieser Hand in Hand. Die Konservierung pflanzengenetischer Ressourcen in den wichtigsten Saatgutbanken dieser Welt, bislang sträflich vernachlässigt, ist für die Sicherung der globalen Ernährungsgrundlage in Zeiten des Klimawandels und für die Weiterentwicklung der (kleinbäuerlichen) Landwirtschaft im Globalen Süden absolut unerlässlich. Allerspätestens die Covid-19-Pandemie sollte allen Entscheidungsträgern dieser Welt klargemacht haben, dass erstens Vorsorge gegen Unvorhergesehenes ernster genommen werden muss und zweitens globale Kooperation sich auszahlt.