„Der Anspruch ist größer und die Parallelität anstrengender“
Was fordern Zivilgesellschaft und Wirtschaft an den G7-Gipfel? Fragen an Julia Harnal von Business7 und an Mathias Mogge von Civil7. Ein Interview von Journalist Jan Rübel.
Beim G7-Gipfel soll mal wieder groß gedacht werden. Bloß: Wie ist das möglich, angesichts der vielen Krisen? Kommt man überhaupt aus dem Krisenmanagement heraus?
Mathias Mogge: Die G7-Staaten müssen groß denken, das ist ihre Aufgabe. Der letzte Elmauer Gipfel lag im Jahr 2015 – als das Pariser Klimaabkommen verabschiedet und die UN-Nachhaltigkeitsziele für 2030 beschlossen wurden. Heute, sieben Jahre später, ist die Bilanz ernüchternd. Richtig vorangekommen sind wir nicht. Schauen wir nach Deutschland: Wir reißen jedes Jahr unsere Klimaziele, wenn nicht gerade eine Pandemie ist. Dabei haben die G7-Staaten eine wichtige Vorbildfunktion und aufgrund ihrer wirtschaftlichen Macht auch die Mittel, mit gutem Beispiel voranzugehen.
Julia Harnal: Und die G7-Staaten brauchen gemeinsame Werte. Beim Hunger und beim Klima weist alles gerade in die falsche Richtung – und dies bereits vor der Pandemie, die den Negativtrend deutlich verschärft. Wenn ich indes auf die Wirtschaftenden schaue, dann sehe ich, dass bei den Unternehmen seit 2015 einiges gut gelaufen ist. Klar, auch wir können uns nicht zurücklehnen, aber selbstverpflichtende Nachhaltigkeitsziele, die sich alle Unternehmen setzen und diese auch kontinuierlich prüfen, sind jedenfalls besser als alles, das es vor Elmau 2015 gab.
Herr Mogge, für wie viel besser finden Sie die Selbstverpflichtungen seit 2015?
Mogge: Sie sind ein Anfang, aber sie reichen nicht aus. Sie werden von einigen Unternehmen eingehalten. In der Vergangenheit haben wir jedoch gesehen, dass Regierungen durchaus Vorgaben machen sollten.
Die G7 sollte da weniger zögerlich sein.
Wenn wir etwa an das Lieferkettengesetz denken, fordern wir von zivilgesellschaftlicher Seite eine bessere Regulierung der Sorgfaltspflichten. Die Ziele im ökologischen wie sozialen Bereich werden sonst nicht eingehalten. Es braucht ordnungspolitische Maßnahmen.
Sehen Sie solch eine Dringlichkeit auch, Frau Harnal?
Harnal: Ordnungspolitisch lässt sich einiges machen, aber man darf es auch nicht zu stark regulieren. Eine Initiative zu nachhaltigen Lieferketten auf G7-Ebene ist zum Beispiel etwas, das wir gern von der Politik noch aktiver gesteuert und gestärkt sähen. Das geht schon in Ihre Richtung, Herr Mogge. Manches Unternehmen entscheidet sich zum Umdenken, wenn es sieht, wie viele andere schon mitmachen. Die Plattform ist nun etabliert: Über die OECD und die World Benchmarking Alliance existiert eine anerkannte Methode, welche die Nachhaltigkeit von Lieferketten untersucht. Da gibt die Politik den Rahmen vor, die multilateralen Plattformen geben den Prozess vor, und die Unternehmen müssen mitziehen. Auch ist klar, dass wir alle hinter dem Green Deal der Europäischen Kommission stehen. Kurzfristiges Krisenmanagement hat nichts damit zu tun, dass wir nun zurück in die Vergangenheit gehen und alles über Bord schmeißen, wo wir uns bereits politisch und regulatorisch drauf eingelassen hatten.
Man kann nicht alle Ziele erreichen, wenn man wenige von ihnen zurückstellt. Der Anspruch ist größer und die Parallelität anstrengender geworden – aber wir wollen uns darauf einlassen, dass wir die Ziele Klima und Hunger gemeinsam und parallel angehen.
Mogge: Die Krisen verstärken sich ja auch gegenseitig. Ökologische Fragen dürfen daher nicht zurückgestellt werden. Es gibt nichts, was gerade wichtiger ist. Wir müssen die Probleme gesamtheitlich sehen. Rosinenpickerei bringt uns nicht weiter.
Herr Mogge, die C7 schreiben in einem Kommuniqué: Nie war die Dringlichkeit eines Systemwechsels größer. Was heißt das?
Mogge: Das heißt, dass kleine Veränderungen und mehr Geld allein nicht ausreichen. Wir brauchen eine andere Art des Wirtschaftens und eine andere Reaktion auf die massiven Ungleichheiten, die wir seit Jahrzehnten sehen. Es gibt unglaubliche Krisengewinnler, die Reichen werden reicher und die Armen ärmer; da braucht es einen wirklichen Systemwechsel. Die reichen Staaten müssen sich überlegen: Welche Auswirkungen hat unsere Politik? Was ist unser Einfluss auf das globale Handelssystem? Allein die vielen Agrarsubventionen laufen völlig in die falsche Richtung. Da wird etwas gefördert, das am Ende mehr Schaden als Nutzen bringt – da wird nicht auf eine ökologische Transformation hin eingezahlt.
Frau Harnal, was denken Unternehmen, wenn jemand einen Systemwechsel fordert?
Harnal: Wechsel bedeutet, dass man von der einen Spur auf die andere springt – dies würde unserer komplexen Welt nicht gerecht. Wenn es indes um eine konkrete, langfristige, aber auch tiefgehende Transformation der Systeme geht, sind wir ganz dabei. Und wir wollen diese Diskussionen, denn nur so kriegen wir die Geschwindigkeit hinter den Willen.
Gibt es vielleicht Lösungen, bei der sich die kurzfristige Krise, etwa die Nahrungsmittelverknappung durch den Ukrainekrieg, und langfristige Ansprüche treffen?
Harnal: Nehmen Sie die Technologielösungen zu präziserer Landwirtschaft. Wenn der Landwirt Dünger spart, würde er mehr Geld verdienen – die Technologie dazu steht bereit, und das betrifft Klima, Hunger und soziale Gerechtigkeit. Was die Subventionen angeht, wünschen wir uns, dass jedes Finanzierungswerkzeug der öffentlichen Hand auf sein Ergebnis hin überprüft wird. Das wird bisher nicht konsequent zu Ende gedacht.
Nun meinen einige: Jetzt muss geklotzt werden, mancher Umweltschutz weniger bedacht werden. Haben sie recht? Sollte zum Beispiel jetzt weltweit mehr gedüngt werden, um durch höhere Getreideernten die Verluste durch den Ukrainekrieg zu mindern?
Harnal: Wir wollen keinen kurzfristigen Überaktivismus und keinen negativen Umweltpreis für eine theoretische Mehrproduktion bezahlen. Die Probleme bei Klima, Technologien und dem Zugang zu ihnen sind viel signifikanter und erfordern langfristiges konsequentes Handeln. Außerdem ist z.B. Dünger gerade nicht ausreichend verfügbar, das ist also eine theoretische Debatte. Wirkliche Hebel sind hingegen bei gesunden Diäten, Fleischintensitäten, Fleischkonsum und Nahrungsmittelverschwendung sowie -verlusten.
Mogge: Die Produktion von Nahrungsmitteln kann und muss im Globalen Süden erhöht werden, vor allem in Ländern, die stark von Importen abhängig sind. Ich bin nicht gegen Agrarhandel. Aber wenn es um Investitionen geht, dann sollten sie dorthin fließen, wo es große Ertragssteigerungen und -verbesserungen geben kann – und wo es darum geht, Menschen eine bessere, diversere Ernährung zu ermöglichen. Bei jeder Debatte um akute Hungerbekämpfung im Schatten der Kriegskrise darf dieses langfristige Denken nicht verlorengehen.
Das gilt auch für die nun gestartete Global Alliance for Food Security: Diese Initiative ist gut und wichtig, aber wir müssen aufpassen, dass sie nicht zu einem Strohfeuer verkommt – und wir in drei Jahren verdutzt feststellen: Der Hunger ist wieder gestiegen…
Sehen Sie die Gefahr eines Strohfeuers?
Mogge: Ja. Der Druck ist im Moment unheimlich hoch, die akut hungernden Menschen zu versorgen. Das ist vollkommen richtig und notwendig. Wir brauchen aber einen langen Atem. Es braucht jährlich 14 Milliarden Euro mehr von den G7-Staaten, um zumindest 500 Millionen Menschen vom Hunger zu befreien – wie es 2015 in Elmau versprochen worden ist. Da sind die 430 Millionen Euro, welche die Bundesregierung für die neue Alliance zugesagt hat, erst einmal ein positives Signal. Aber das wird so nicht ausreichen. Wir brauchen eine Verstetigung der Mittel.
Harnal: Die Initiative sollte jene Akteure zusammenbringen, die es auch können. Die also pragmatischen Lösungen umsetzen und auch Produkte zur Verfügung stellen. Herr Mogge, da bin ich ganz bei Ihnen: Hilfe zur Selbsthilfe ist der Weg. Das muss jetzt schnell passieren. Geld ist gut. Es ist ein Katalysator. Aber jetzt geht es ums Handeln. Da erwarten wir eine dynamische Führung durch das BMZ, damit alle, die einen Unterschied machen können, ihren Beitrag leisten können.
Was kann denn die FAO gerade?
Mogge: Die Rome-based Agencies (RBAs), darunter die Welternährungsorganisation FAO, sind für die globale Ernährungssicherung extrem wichtige Organisationen, die im besten Falle eng zusammenarbeiten sollten und von denen entsprechende Beratung kommen sollte. Die Vereinten Nationen haben per se die Kapazitäten, den Blick auf die globale Ernährung zu werfen: Wie viel wird produziert? Wie viel wird konsumiert? Wie viel ist in den Lagern? Das kann niemand besser als die UN. Die Akteurinnen und Akteure sind da. Aber es braucht Kooperation unter den Organisationen, den Schulterschluss mit der Wissenschaft, mit Nichtregierungsorganisationen und der Wirtschaft.
Fasse ich das so richtig zusammen: Die RBAs tun nicht genug?
Harnal: Naja, wenn die starken Staaten ihren Job nicht machen, kann man es den RBAs auch nicht vorwerfen. Bei der G7 ist jeder gefordert, seinen Beitrag zu leisten. Natürlich sind wir auch mit der Schwerfälligkeit, der Komplexität und der Unklarheit nicht zufrieden. Aber dann braucht man den Willen, dies zu ändern.
Mogge: Die FAO ist eine Mitgliederorganisation. Deren Strukturen lassen sich nicht leicht ändern. Die Staaten tun sich mit überfälligen Reformen, wie beim UN-Sicherheitsrat, schwer.
In welcher politischen Verantwortung stehen denn die Unternehmen, Frau Harnal – im argumentativen Zwiespalt von Krisen, Markt und Nachhaltigkeit?
Harnal: Wir haben uns klar zu den europäischen Werten positioniert, aber ich würde es nicht politische Verantwortung nennen. Wir haben eher einen menschlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auftrag: Damit wir unsere Technologien derart weiterentwickeln, dass sie einen positiven Beitrag bei der Transformation leisten. Und wir haben natürlich monetäre Möglichkeiten. Aus der Wirtschaft heraus werden Projekte und Initiativen im globalen Süden umgesetzt. Hier können Unternehmen konsequent Mittel zur Verfügung stellen für Investitionen und Innovationen.
Herr Mogge, sehen Sie Unternehmen in politischer Verantwortung? Geht es Ihnen um mehr als um Investitionen und Innovationen?
Mogge: Absolut. Was Frau Harnal sagt, hört sich gut an. Aber die Organisationen, die im globalen Süden arbeiten, stellen immer wieder fest: Große, transnationale Unternehmen verursachen teilweise Armut, indem sie auf eine Art und Weise investieren, so dass etwa Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ihres Landes beraubt werden. Einige Unternehmen tragen durch ihre Investitionen auch dazu bei, dass ein Land keine eigene, nachhaltige Wirtschaft aufbaut. Das ist in vielen Ländern nach wie vor ein Fakt.
Harnal: Ich wollte nur den Anspruch an die politische Führung, ihren Job zu machen, nicht abgeben. Für uns sind es die ethischen und moralischen Rahmenbedingungen, in denen wir uns absolut bewegen. Wir haben den Anspruch, dass wir alle internationalen Abkommen zu Menschenrechten, fairen Lieferketten und sicheren Technologien respektieren und uns dafür einsetzen , dass dies vor Ort auch geschieht.
Gibt es denn eine Kernforderung, die Sie als Vertreter aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft gemeinsam oder für ihren Arbeitsstrang an die Regierungschefs richten?
Harnal: Wir fordern eine pragmatische Umsetzung des politischen Willens, ...
... kurzfristig Ernährungssicherung zu gewährleisten. Mittel- bis langfristig sind die Ernährungssysteme zu transformieren. Da braucht es eine enge Abstimmung zwischen den Ressorts, damit wir endlich aus dem Stillstand herauskommen.
Trifft sich das mit Ihnen, Herr Mogge?
Mogge: Angesichts der zunehmenden Einschränkungen für zivilgesellschaftliches Engagement fordern wir von der G7 die Einrichtung einer Task Force. Auch muss viel mehr im Bereich der Konfliktprävention getan werden. Die Schuldenkrise ist ein weiteres Thema, bei dem wir alle erwarten, dass es von der G7 ein Signal gibt. Schuldenerlasse müssen jetzt her. Auch hat die G7 deutlicher zu werden, wie sie das 1,5-Grad-Ziel beim Klimawandel zu erreichen gedenkt. Und schließlich gibt es Regelungsbedarf im Gesundheitswesen: Die Coronapandemie zum Beispiel hat gezeigt, dass es ein temporäres Aussetzen von bestimmten Patenten auf medizinische Produkte braucht. Nur so kann man weiten Bevölkerungsteilen den Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen erleichtern.
Ist das hinreichend diplomatisch formuliert, Frau Harnal?
Harnal: Zur Pharmaindustrie kann ich nichts sagen. Zum 1,5-Grad-Ziel möchte ich hinzufügen, dass wir endlich im Prozess der Klimakonferenzen die Themen Ernährung und Agrar positionieren – und zwar so, dass es im November in Ägypten zu Ergebnissen führt. Dort werden alle Akteure zusammenkommen und beschließen, was getan werden muss; leider geschieht dann aber meist wenig mit Blick auf konkrete Maßnahmen. Da kann der G7-Prozess jetzt entscheidende Vorarbeit leisten.
Also ein Brückenbau zwischen G7 und COP?
Mogge: Auf der COP27 sollte es nun den so viel diskutierten „Food Day“ geben, also einen ganzen Tag zum Schwerpunkt Ernährung und Klima. Es ist nur zu hoffen, dass die G7-Regierungen dies erkennen und sich dafür einsetzen.