Nachhaltigkeitsverpflichtungen entlang globaler Agrarlieferketten

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Ein Interview mit Shivani Kannabhiran, Managerin für verantwortungsbewusste Agrarlieferketten im Centre for Responsible Business Conduct bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Cooperation and Development, OECD).  

Gemüse aus Kolumbien: Für Lebensmittel aus aller Welt braucht es nachhaltige Lieferketten zum Schutz der Produzierenden und Konsumierenden. ©Alianza de Bioversity International y CIAT/Juan Pablo Marin García, 2021

Von Shivani Kannabhiran

Shivani Kannabhiran ist Sektorleiterin für verantwortliche landwirtschaftliche Lieferketten am OECD-Zentrum für verantwortungsbewusstes Geschäftsverhalten. Sie ist Spezialistin für risikobasierte Sorgfaltsprüfungen und leitet die Arbeit zu verantwortungsvollen landwirtschaftlichen Lieferketten. Sie arbeitet eng mit politischen Entscheidungsträgern, Unternehmen, Investoren, der Zivilgesellschaft und Arbeitnehmervertretern zusammen, um die OECD-Standards für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln weltweit zu fördern.

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Im Dezember 2021 wurde unter der G7 Präsidentschaft Groß Britanniens die G7 Initiative für Nachhaltige Lieferketten (SSCI) ins Leben gerufen. Diese Initiative wird die globalen Bemühungen zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) verstärken und sich dafür einsetzen, die Lebensmittelsysteme nachhaltiger, inklusiver und widerstandsfähiger zu gestalten, wie es in den Aktionslinien des UN Food Systems Summit (UNFSS) festgelegt ist. Derzeit haben sich 22 weltweit führende Agrar- und Lebensmittelunternehmen aus den G7-Ländern zu Maßnahmen verpflichtet, die die Umwelt-, Ernährungs- und Sozialverträglichkeit ihrer Tätigkeiten und Lieferketten verbessern. Unter der deutschen G7-Präsidentschaft unterstützt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) weiterhin die SSCI. Vor diesem Hintergrund hat die deutsche G7-Präsidentschaft das Centre for Responsible Business Conduct der OECD gebeten, für die Dauer der deutschen Präsidentschaft im Jahr 2022 das Sekretariat des SSCI zu übernehmen.

 

Warum ist es wichtig, den Privatsektor in den Transformationsprozess hin zu nachhaltigeren und integrativen globalen Ernährungssystemen mit einzubeziehen?
Shivani Kannabhiran: Die angestrebte Transformation des Agrar- und Ernährungssektors kann nur erreicht werden, wenn alle relevanten Akteure, einschließlich des Privatsektors, dazu beitragen und ihre Rolle erfüllen.

 

Internationale Agrar- und Lebensmittelunternehmen haben eine große Hebelwirkung und tragen gemeinsam die Verantwortung für die Verbesserung der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit der Ernährungssysteme.

 

Die G7 SSCI vereint 22 führende globale Agrar- und Lebensmittelunternehmen, die sowohl vor- als auch nachgelagerte Bereiche der Wertschöpfungskette vertreten. Die Gruppe der Unternehmen erwirtschaftet insgesamt einen weltweiten Jahresumsatz von über 550 Mrd. USD und beschäftigt direkt mehr als 2 Millionen Menschen. Wenn diese Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsverpflichtungen in Bezug auf Klima, Menschenrechte und Umwelt im Sinne der internationalen Empfehlungen umsetzen, kann dies ein wichtiger Anstoß sein, um einen Wandel zum Besseren zu erreichen.

 

Durch die Zusammenarbeit mit Unternehmen entlang der gesamten Lieferkette - von den Rohstofflieferanten über die Produzenten bis hin zu den Nahrungsmittelherstellern und Einzelhändlern - können wir den Sektor als Ganzes umgestalten und gemeinsam von den Verpflichtungen zum konkreten Handeln übergehen.

 

Welche Methoden werden zur Erfolgsbewertung der Unternehmen eingesetzt?
Die G7 SSCI verwendet den Food and Agriculture Benchmark der World Benchmarking Alliance (WBA) als unabhängigen Referenzrahmen zur Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen. Der Benchmark basiert auf den Leitfaden für verantwortungsvolle landwirtschaftliche Lieferketten der OECD und FAO, die es Unternehmen aller Größenordnungen ermöglichen, einen Rahmen für das Risikomanagement und die Sorgfaltspflicht zu implementieren, um Umwelt-, Menschenrechts- und Governance-Risiken in globalen Lieferketten zu berücksichtigen. Der WBA-Benchmark, der 45 Indikatoren umfasst, bewertet Unternehmen ganzheitlich vom Erzeuger bis zum Endverbraucher hinsichtlich ihrer Umwelt-, Ernährungs- und gesellschaftlichen Auswirkungen. Die Ergebnisse geben Auskunft darüber, inwieweit die Unternehmen bereits zur Erreichung der SDGs beitragen. Das Engagement der Unternehmen in der G7 SSCI ist somit ein unmittelbarer Beitrag des Privatsektors zur Verwirklichung der SDGs.

 

Auf welchem Standpunkt befinden sich die Unternehmen derzeit?

Der WBA Food and Agricultural Benchmark bewertet die Aktivitäten der 350 einflussreichsten Agrar- und Lebensmittelunternehmen der Welt. Die bisherigen Ergebnisse zeigen bedenkliche Diskrepanzen hinsichtlich der Anpassung der Branche an den Klimawandel, der Fortschritte im Bereich der Menschenrechte und ihres Beitrags zu einer gesunden Ernährung.
Beispielsweise zeigt sie, dass nur 26 dieser 350 Unternehmen derzeit daran arbeiten, die Treibhausgasemissionen im Sinne des Pariser Abkommens zu reduzieren, obwohl die indirekten Treibhausgasemissionen aus den Lieferketten (auch bekannt als Scope-3-Emissionen) rund 80 Prozent der Emissionen von Lebensmittelherstellern ausmachen. Mehr als zweihundert dieser Unternehmen berichten nicht öffentlich über Scope-3-Emissionen noch setzen sie sich Ziele, um diese zu reduzieren.

 

Die derzeit verfügbaren Daten zeigen auch einen erheblichen Mangel an Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinder- und Zwangsarbeit. Nur 8 Prozent der 350 Unternehmen verfügen über einen umfassenden Prüfmechanismus zur Einhaltung der Menschenrechte - und das trotz globaler Rahmenbedingungen wie den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD/FAO-Leitfaden für verantwortungsvolle landwirtschaftliche Lieferketten.

 

Darüber hinaus spielt der Privatsektor eine wichtige Rolle darin, dass unsere Ernährung die öffentliche Gesundheit stärkt und sichere und nahrhafte Lebensmittel für alle verfügbar und zugänglich sind. Letzteres hat angesichts der drohenden Ernährungskrise im Zuge des Krieges in der Ukraine an Dringlichkeit gewonnen. Wenn drei Viertel der untersuchten Unternehmen sich nicht dazu verpflichten, die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von gesunden Lebensmitteln zu verbessern, ist eine ausgewogene Ernährung für die Konsumierenden keine Option. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass bei den Unternehmen dringender Handlungsbedarf besteht.

 

Wie soll dieser Wandel umgesetzt werden, und welche Hebel müssen dafür in Bewegung gesetzt werden?

Bei der OECD arbeiten wir eng mit den Konzernen zusammen, die sich verpflichtet haben, Teil der G7 SSCI zu sein. Die OECD-FAO-Richtlinien für verantwortungsbewusste Agrarlieferketten und die WBA-Benchmark für Agrar- und Ernährung spielen im Rahmen der G7 SSCI eine ergänzende Rolle. Die OECD-FAO-Richtlinien geben den Unternehmen klare Empfehlungen, wie sie das betriebliche Risikomanagement in ihre Geschäftsentscheidungen und Lieferketten integrieren und umsetzen können. Der fünfstufige Rahmen für Sorgfaltspflichten hilft Unternehmen dabei, eine breite Palette von Risiken im Zusammenhang mit Lebensmittel- und Agrarlieferketten zu erkennen, zu vermeiden und zu verringern, um die Verpflichtungen im Rahmen der SDGs zu erfüllen. Der WBA-Benchmark hebt die kritischen Themen rund um die Transformation der Ernährungssysteme hervor und dient als Rechenschaftsmechanismus mit spezifischen Indikatoren, um die Unternehmensleistung im Laufe der Zeit zu verfolgen.

 

Diese freiwilligen Mechanismen fördern eine verantwortungsvolle Unternehmensleistung. Auf die OECD-Empfehlungen zur Sorgfaltspflicht wird zunehmend in den Rechtsvorschriften verwiesen, die das Verhalten von Unternehmen festlegen. Sie stellen auch eine Ressource für politische Entscheidungsträger dar, wie verantwortungsvolles Geschäftsverhalten vervollständigt und gefördert werden kann. Im Rahmen der G7 SSCI wollen wir auch einen Dialog zwischen politischen Entscheidungsträgern und dem Privatsektor schaffen, der das Verständnis für die besondere Rolle eines jeden fördert. Wir haben das gemeinsame ambitionierte Ziel, die Nachhaltigkeitsleistung des Sektors zu verbessern.

 

Nur wenn wir partnerschaftlich zusammenarbeiten und uns darüber im Klaren sind, was wir benötigen, können wir Maßnahmen zur Umgestaltung unseres globalen Ernährungssystems vorantreiben.

 

Was sind Ihre Pläne in diesem Jahr?
Ein erster technischer Workshop mit SSCI-Unternehmen fand im März diesen Jahres statt. Offiziell werden wir die G7 SSCI am 13. Juli 2022 nach dem G7-Gipfel Ende Juni starten. Während des Treffens im Juli wollen wir Ziele für dieses Jahr festlegen und ein oder zwei Schwerpunktthemen bestimmen, bei denen die Unternehmen demonstrieren können, wie sie von ihren Verpflichtungen zu Taten übergehen. Darüber hinaus führt die WBA ihre jährliche Bewertung der SSCI-Unternehmen durch. Im Oktober wird ein zusammengefasster Bericht vorgelegt, der im weiteren Verlauf des Jahres auf einer hochrangigen SSCI-Veranstaltung besprochen wird. Dieses Treffen wird sich auf allgemeine Trends, Erfolge und Herausforderungen in der gesamten Gruppe konzentrieren und eine Dialogplattform für den Meinungsaustausch über Handlungsfelder zwischen Regierungen und dem Privatsektor darstellen, um die Transformation des Ernährungssystems in Richtung einer stärkeren sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit voranzutreiben.

 

Planen Sie, die SSCI auch für andere Unternehmen zu öffnen?
Die SSCI ist keine geschlossene Gruppe. Sie steht allen Unternehmen zu jedem Zeitpunkt offen, und wir werden die Initiative erweitern, um die kollektive Wirksamkeit zu erhöhen. Zu Beginn konzentrieren wir uns jedoch auf Unternehmen mit Hauptsitz in den G7-Ländern, die an der WBA Food and Agriculture Benchmark teilnehmen. Wir planen, den Wirkungsbereich der Initiative über die G7-Länder hinaus zu erweitern, damit alle Unternehmen die Möglichkeit haben, sich anzuschließen und gemeinsam dazu beizutragen, den Sektor zum Besseren zu verändern.

 

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