Land ist nicht nur, worauf wir stehen – es ist, was darunter und darüber liegt
Ein Interview von Jacob Häberli
Faith Alubbe, CEO der Kenya Land Alliance, setzt sich seit langem für Landgerechtigkeit und die Rechte von Gemeinschaften in Kenia und weltweit ein. In diesem Interview spricht sie über ihre Erfahrungen mit inklusiver Landverwaltung, die Rolle von Frauen und warum echtes Eigentum weit über Landtitel hinausgeht. Ihre Botschaft: Gemeinden müssen im Mittelpunkt der Entscheidungsfindung stehen.
Würden Sie sich und Ihre Arbeit bitte kurz vorstellen?
Faith Alubbe: Ich heiße Faith Alubbe, bin Menschenrechtsanwältin und setze mich gemeinsam mit Gemeinschaften für Landgerechtigkeit ein. Als Geschäftsführerin der Kenya Land Alliance arbeite ich mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammen, die dieses Ziel teilen. Wir arbeiten mit 80 Mitgliedsorganisationen zusammen, die in 30 der 47 Bezirke Kenias sowohl auf Bezirks- als auch auf nationaler Ebene tätig sind, und unterhalten darüber hinaus regionale und internationale Partnerschaften.
Welche zentralen Erkenntnisse oder Prioritäten sehen Sie für die Zukunft der Landgovernance?
Wenn wir über Landgovernance sprechen, sollten wir uns bewusst sein, dass es dringende Probleme gibt, die unbedingt angegangen werden müssen. Die Kommerzialisierung von Land hat zu unterschiedlichen Neuauffassungen von Land geführt. Lange Zeit haben wir Land einfach nur als das verstanden, worauf wir stehen. Aber Land ist mehr als das, es ist, was darunter und darüber liegt. Unterhalb der Erdoberfläche geht es um die Extraktion von wertvollen Rohstoffen und Mineralien, auf der Oberfläche um Wälder, Seen und Flüsse – und in der Luft um Themen wie Klimagerechtigkeit, Umweltschutz, erneuerbare Energien und Just Transition. All das hat unser Verständnis von Land erweitert. Wenn wir mit Blick in die Zukunft über Landgerechtigkeit sprechen, müssen wir uns fragen: Wie können wir uns so organisieren, dass lokale Gemeinschaften nicht benachteiligt werden? Land gilt seit jeher als der wertvollste Vermögenswert. Aber ist es das wirklich, wenn wir nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen?
Ein weiterer zentraler Punkt sind die verschiedenen Interessen an Landbesitz. Wenn wir über die Registrierung von Landbesitz sprechen, geht es immer auch um Gegenleistungen – monetär oder anderweitig –, die mit dem Zugang zu Land verbunden sind. Aber man kann Land auch nutzen, ohne es zu besitzen oder zu kontrollieren. Diese verschiedenen Formen von Interessen müssen differenziert betrachtet werden, damit alle von Land profitieren können – auch ohne Eigentum. Das ist besonders wichtig für Frauen und Jugendliche, die oft von Landbesitz ausgeschlossen sind. Wenn generationale Weitergabe von Land nicht funktioniert, gibt es Wege, den Zugang und die Nutzung zu sichern, sodass Menschen vom Land leben können, selbst wenn sie es nicht besitzen.
Ein weiteres Thema betrifft die Stärkung von Institutionen. Die Vielzahl von Gesetzen – auf internationaler, regionaler und nationaler Ebene – kann zwar schützen, aber auch ein Hindernis sein. Viele Gemeinschaften verstehen diese Gesetze nicht, was sie letztlich benachteiligt. Institutionelle Stärkung bedeutet daher nicht nur, staatliche Akteure und Entscheidungsträger zu stärken, sondern auch traditionelle Institutionen, die beim Thema Land großen Einfluss haben. In Afrika werden rund 70 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen gemeinschaftlich gehalten. Traditionelle Rechtssysteme und Autoritäten spielen also eine entscheidende Rolle und müssen befähigt werden, ihre Gemeinschaften kompetent zu beraten. Auch religiöse Institutionen auf lokaler Ebene sind wichtig, weil sie Vertrauen innerhalb Gemeinschaften genießen und diesen helfen können, sich mit Landfragen auseinanderzusetzen. Reformen sollten daher nicht nur Gesetze betreffen, sondern auch alle Akteure, die an Landgovernance beteiligt sind.
Schließlich müssen Gemeinschaften selbst lernen, ihre Rechte zu erkennen, zu verstehen und einzufordern. Menschenrechtsbasierte Ansätze funktionieren nur dann, wenn die Betroffenen ihre eigenen Kämpfe verstehen und mittragen – das macht Prozesse nachhaltig.
Wie kann Landgovernance und Vergabe von formellen Landtiteln aus Ihrer Perspektive sicherstellen, dass insbesondere marginalisierte Gruppen besseren Zugang zu Land bekommen – ohne das bestehende Machtasymmetrien verstärkt werden?
Wenn wir über die Vergabe von Landtiteln sprechen, ist es wichtig, dass Gemeinschaften verstehen: Landbesitz ist ihr angeborenes Recht, da sie die indigenen Bewohner ihres Landes sind. Aber wenn sie ihr Land registrieren und absichern, erhalten sie bessere Möglichkeiten, Entscheidungen darüber zu treffen. In Kenia beispielsweise werden nicht registrierte Gemeindeländereien treuhänderisch von den Bezirksregierungen verwaltet. Das schränkt die Entscheidungsfreiheit der Gemeinschaften stark ein. Durch die Registrierung ihres Landes stärken Gemeinschaften ihre Rechte und können selbst über Fragen entscheiden wie: Wie sollen Gewinne verteilt werden? Wie sieht freie, vorherige und informierte Zustimmung (Free, Prior and Informed Consent)¹ aus? Wie werden Pachtverträge gestaltet? Die Registrierung gibt ihnen die Kontrolle über ihre Zukunft.
Der Community Land Act² schreibt zudem vor, dass Frauen in allen Entscheidungsgremien der Landregistrierung vertreten sein müssen. Damit haben Frauen erstmals ein legales Stimmrecht beim Landbesitz. Sind Frauen in diesen Gremien beteiligt, profitieren sie von Investitionen, bringen eigene Perspektiven ein und können ihre Rechte unabhängig von Familienstand, körperlichen Einschränkungen oder sozialem Status ausüben. Das Gesetz garantiert, dass jede Frau über 18 Jahren an Landentscheidungen teilnehmen kann. Das Gleiche gilt für junge Erwachsene: Da das Gesetz verlangt, alle über 18-Jährigen zu registrieren, werden auch sie eingebunden und ihre Rechte geschützt. Wenn Gemeinschaften ihre Rechte verstehen, können formelle Landrechte ein wirksames Instrument der Emanzipation werden.
In Kenia gibt es digitale Tools wie Haki Ardhi (Kiswahili für "Landrechte"), die über mobile Geräte zugänglich sind. Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie in der Nutzung solcher Technologien zur Verbesserung des Landmanagements?
Wenn wir über Digitalisierung sprechen, müssen wir anerkennen, dass nicht alle gleichermaßen profitieren. In Kenia sind es vor allem die Eliten, die Zugang haben – aufgrund von Kosten, Infrastruktur und Verfügbarkeit. Viele ländliche Dörfer haben nicht einmal Strom. Ein weiteres Problem sind historische Landungerechtigkeiten. Wenn Regierungen die Digitalisierung vorantreiben, müssen wir fragen: Was genau wird digitalisiert? Werden alte Ungerechtigkeiten in digitale Form überführt oder werden Neuanpassungen durchgeführt, die gerechter sind und die Gemeinschaften stärken? Wenn das nicht bedacht wird, kann Digitalisierung alter Ungleichheiten verstärken und neue schaffen.
Digitalisierung ist grundsätzlich positiv, muss aber an die Bedürfnisse der Gemeinschaften angepasst werden. Der Prozess sollte partizipativ und verständlich sein. Gemeinschaften dürfen nicht nur informiert werden, dass ihre Landrechte digitalisiert werden – sie müssen verstehen, wie und warum das geschieht und wie sie dadurch geschützt werden. Wenn das nicht der Fall ist, bleibt der Prozess einseitig und wird zu einer auferlegten Entscheidung statt zu einem gemeinschaftlichen Fortschritt.
Sie nehmen regelmäßig an Konferenzen zu Landrechten und landwirtschaftlichen Transformation teil. Dort wird viel diskutiert. Wie lässt sich aus diesen Gesprächen konkretes Handeln ableiten?
Nach solchen Konferenzen entstehen meist schöne Ergebnisse und Erklärungen. Aber um sie wirklich wirksam zu machen, sollte jeder Erklärung eine Evaluation folgen. So könnte beispielsweise - wenn ein Treffen im Juni stattgefunden hat - im Folgejahr geprüft werden, welche Fortschritte erzielt wurden. Was kann in sechs Monaten, fünf Jahren oder zehn Jahren realistisch umgesetzt werden? Welche Maßnahmen sind ressourcenintensiv, welche sofort umsetzbar? Eine solche Verpflichtung würde die Erklärung zu einem gelebten Dokument machen. Ohne diese laufen wir Gefahr, immer wieder ähnliche Deklarationen zu verfassen – ohne echte Umsetzung oder Wirkung.
Dieses Interview wurde aus dem Englischen übersetzt und zur besseren Lesbarkeit leicht redigiert.
¹ Der FPIC (Free, Prior and Informed Consent) Guide stärkt das Recht indigener Gruppen auf Information und selbstbestimmte Entscheidung. Er ermöglicht ihre aktive Beteiligung am Entscheidungsprozess, sodass die Bedürfnisse indigener Gemeinschaften frühzeitig erkannt und berücksichtigt werden können.
² Das Community Land Act (2016) in Kenia bildet den rechtlichen Rahmen für die Anerkennung, den Schutz und die offizielle Registrierung von Gemeinschaftslandrechten. Es ermöglicht den Gemeinden, ihr Land gemeinschaftlich zu besitzen, zu verwalten und nachhaltig zu nutzen.