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Die Ausweitung von Monokulturen schädigt die Umwelt und verletzt Menschenrechte. Kleinbäuer*innen setzen sich gegen die industriell hochgerüstete, kapitalintensive und gentechnisch veränderte Exportlandwirtschaft zur Wehr.
Auch die Regierung unter Mario Abdo Benítez setzt in Paraguay auf eine Ausweitung des Anbaus von Monokulturen wie Soja. Dies geht einher mit verschiedensten Menschenrechtsverletzungen (Recht auf Nahrung, Recht auf Wasser, Recht auf gesunde Umwelt), aber auch Verdrängungsprozessen und der Verletzung von Landrechten. MISEREOR unterstützt daher nationale Organisationen, die sich für die Einhaltung und Einforderung der Menschenrechte sowie für den Erwerb von Landtiteln für kleinbäuerliche Familien und Indigene einsetzen. Andere MISEREOR-Partner informieren über die gesundheitlichen Auswirkungen des Einsatzes von Pestiziden. Als Gegenmodell fördert MISEREOR auf lokaler Ebene Projekte der ökologischen Landwirtschaft. Dabei steht die Stärkung kleinbäuerlicher Basisorganisationen, ihre Vernetzung und ihr Zusammenschluss unter anderem im nationalen Bauernverband FNC im Vordergrund. Schicksalen wie dem folgenden von Alcides Ruiz begegnen MISEREOR-Partner oft, daher engagieren sie sich für eine nachhaltige Verbesserung ihrer Lebensbedingungen.
Beim Thema “Pestizide“ engagiert sich MISEREOR gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen, um einerseits über die Folgen des Pestizid-Einsatzes für Mensch und Umwelt zu informieren sowie die Verantwortlichkeit von Agrarkonzernen wie der Bayer AG aufzuzeigen. Andererseits fördert MISEREOR agrarökologische Alternativen und schafft ein stärkeres Bewusstsein dafür bei den Landwirten und Konsumentinnen.
Zwischen der Kleinstadt Puente Kyjá und San Juan im Osten Paraguays erstrecken sich Soja-Monokulturen bis zum Horizont. Ein unangenehm stechender Geruch nach Pestiziden reizt die Schleimhäute. Ein Traktor mit einem kranähnlichen Aufsatz versprüht Glyphosat. Die Pflanzungen beginnen direkt neben der Lehmpiste, kein Zentimeter darf verschenkt werden – obwohl laut Gesetzgebung eigentlich Baumbarrieren Straßen und Siedlungen schützen sollten
Derzeit wird auf 3,2 Millionen Hektar Soja angebaut. Die diesjährige Ernte verspricht einen neuen Rekord. „Keine Dürre, wenig Schädlinge“, sagt zufrieden der Präsident der Kammer der Agroexporteure von Getreide- und Ölprodukten (CAPECO), José Berea, in seinem klimatisierten Büro in Paraguays Hauptstadt Asunción. Der Export schwemmte 2016 3,1 Milliarden US-Dollar in die Kassen der Soja-Barone. Praktisch steuerfrei. Einkommenssteuern gibt es erst seit 2012. Weil Steuerhinterziehung aber nicht verfolgt wird, erwirtschaften die Agrarexporteure zwar ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes, wie der Ökonom Víctor Raúl Benítez vorrechnet, aber sie zahlen nur zwei Prozent des Steueraufkommens.
Kleinbauern wie der 33-jährige Alcides Ruiz aus San Juan haben im Modell der industriell hochgerüsteten, kapitalintensiven und gentechnisch veränderten Agro-Export-Landwirtschaft keinen Platz. Gen-Soja ist unter 150 Hektar nicht rentabel. Viele Bauern haben aufgegeben und sind in die Elendsgürtel rund um die Hauptstadt gezogen. „Ich will nicht in Asunción Schuhe putzen“, sagt Ruiz trotzig. Er hat sich stattdessen dem Nationalen Bauernverband (FNC) angeschlossen, der den friedlichen Widerstand organisiert.
Doch welche Chance haben 20.000 organisierte Bauernfamilien gegen die geballte Macht der Multis, die hinter dem milliardenschweren Geschäft mit der Soja stecken? Gegen Biotech-Konzerne wie Monsanto und Syngenta, die den Markt der gentechnisch veränderten Soja und der auf sie zugeschnittenen Pestizide dominieren? Gegen einheimische Großgrundbesitzer wie die argentinische Gruppe Los Grobo oder Agroexporteure wie Cargill oder Bunge? Paraguay ist laut der von MISEREOR unterstützten Forschungseinrichtung BASE IS eines der Länder mit der höchsten Landkonzentration weltweit.
Das südamerikanische Binnenland war nicht immer zum Agrarstaat prädestiniert. Nach der Unabhängigkeit vor 200 Jahren schlug Diktator José Gaspar Rodríguez de Francia einen Sonderweg ein, um Paraguay wirtschaftlich zu entwickeln. Der Staat kontrollierte die Wirtschaft, es wurde außer Maschinen fast nichts importiert und hauptsächlich Mate-Tee und Holz exportiert, Ausländer durften das Land nicht betreten. Auch seine Nachfolger hielten an dem Kurs fest, der die heimische Manufaktur förderte und Paraguay zu einem der wirtschaftlich fortschrittlichsten Länder Südamerikas machte. Diese Abkehr vom Marktliberalismus lief allerdings den Geschäftsinteressen der USA und Großbritanniens zuwider, die über verbündete Nachbarländer versuchten, Paraguay zu destabilisieren. Die Versuche gipfelten vor 150 Jahren in einem sechsjährigen Krieg, in dem Paraguay allein gegen das Bündnis aus Uruguay, Brasilien und Argentinien dastand. Paraguay verlor die Hälfte seines Staatsgebiets; drei Viertel seiner Bevölkerung starben. Die fremde Einflussnahme konnte es nie mehr ganz abschütteln.
Auch der Soja-Boom kam von außen. Er wurde in den Büros der Multis geplant. 2003 schaltete der Schweizer Konzern Syngenta eine Anzeige, in der von der „Vereinten Soja-Republik“ die Rede war. Einem 46 Millionen Hektar großen Soja-Anbaugebiet zwischen Brasilien, Bolivien, Argentinien, Paraguay und Uruguay.
Einige Jahre zuvor hatte Monsanto die berühmte gentechnisch manipulierte und glyphosatresistente Soja-Roundup Ready (RR) entwickelt. Die Vision von Monsanto und Syngenta wurde Wirklichkeit: Der gesamte Osten Paraguays lebt heute im Takt der Soja. In der Haupterntezeit zwischen November und März sind riesige Maschinen Tag und Nacht im Einsatz. Eine Flotte von Lastwagen bringt die Fracht in die Silos der multinationalen Aufkäufer wie Cargill und Bunge oder bis zu den privaten Frachthäfen, von wo die Bohnen dann nach Europa gebracht und dort zu Viehfutter verarbeitet werden.
Doch auf ihrem Vormarsch verschlang die Soja alles, was ihr im Weg war: Wälder, Wildtiere, indigene Schutzgebiete, Landarbeiter, die durch Maschinen ersetzt wurden, und zuletzt die Familienbetriebe der Bauern. Die Vielfalt wich einer industriell bearbeiteten Wüste, auf die jedes Jahr 20,5 Millionen Liter Pestizide niedergehen. Heute muss Paraguay den Löwenanteil seiner Lebensmittel importieren. Der Bauer Alcides Ruiz sitzt auf einem Plastikstuhl im Schatten eines Maulbeerbaums und nimmt einen langen Schluck eiskalten Tees, bevor er zu erzählen beginnt: „Noch 1999 war das hier ein kleines Paradies. Fruchtbarer Boden, Wald, ein klarer Fluss. Damals konnten wir hier noch Gürteltiere jagen.“ Heute verbietet er seinem einjährigen Sohn Igor im Fluss zu baden. Und seine Hühner sterben vom Wind, der die Pestizide aus den benachbarten Sojafeldern zu ihm herüberweht. Viren seien schuld, so Regierungsbeamte. Ruiz glaubt ihnen nicht – aber das Gegenteil zu beweisen ist schwierig. In San Juan gibt es keinen Tierarzt.
Auch am örtlichen Gesundheitsposten sind die Statistiken diffus. „Als Pestizidvergiftungen werden nur akute, eindeutige Fälle gemeldet“, erzählt Krankenpfleger Carlos Acosta. Ausschläge, Atemwegsinfektionen oder Nierenerkrankungen, die hier sehr häufig sind und mit Pestiziden in Zusammenhang stehen könnten, zählen nicht dazu. Kausalitäten herzustellen ist wissenschaftlich knifflig.
Eine der wenigen, die in Paraguay dazu forscht, ist Stela Leite, Kinderärztin am Universitätskrankenhaus von Asunción. Sie war vor einigen Monaten in San Juan und hat die Kinder untersucht. Was die Ärztin beunruhigt, sind mögliche Langzeitschäden durch die Pestizide. Noch ist ihre Studie nicht fertig, in der sie das Blut der Kinder auf Tumormarker untersucht hat. Leite hat aber in den allgemeinen Statistiken beunruhigende Zahlen gefunden: „Paraguay hat mit 19 auf 1.000 Geburten eine sehr hohe Säuglingssterblichkeit, verursacht an erster Stelle durch Infektionen und an zweiter durch Missbildungen. Die standen vor einigen Jahren noch an vierter Stelle.“
Alcides Ruiz kam 1999 nicht freiwillig nach San Juan. Er wurde aus dem benachbarten Bundesstaat Alto Paraná vertrieben, in dem die Soja ihren Vormarsch begann. Das Glyphosat der Sojafelder wehte zu seinem Hof herüber, ließ seinen Mais verdorren und seine Tiere sterben. Er war einer der letzten, die gingen und setzte alle Hoffnung auf dieses neue, noch unberührte Stück Land. Zusammen mit 500 weiteren Familien ließen sie sich in San Juan auf rund 5.000 Hektar brachliegendem Staatsland nieder. Paraguays Verfassung und sein Agrarstatut gewährt jeder Bauernfamilie ein Recht auf zehn Hektar zur landwirtschaftlichen Nutzung. Doch zwischen Verfassung und Realität klafft ein Abgrund.
Auch die Sojabauern hatten auf die fruchtbare, rote Erde von San Juan ein Auge geworfen. Die Landbesetzung wurde gewaltsam geräumt, 64 Bauern landeten im Gefängnis, einer wurde bei der Räumung ermordet, die Holzhütten und die Schule niedergebrannt, ihre Ernte zerstört. Ein paar Tage später waren Ruiz und die übrigen Bauern trotzdem wieder da und begannen von neuem mit der Aussaat. Die Agrarbehörde INDERT gewährte jeder Familie ein Nutzungsrecht mit der Aussicht, zehn Jahre später einen ordentlichen Landtitel zu erhalten. Darauf wartet Ruiz noch heute. Statt des Landtitels kamen die Soja-Barone, begleitet von Polizisten. Dasselbe Spiel von gewaltsamer Räumung und Besetzung begann von vorne.
Doch die Bauern lassen sich nicht unterkriegen. „In 25 Jahren haben wir mehr als 300.000 Hektar Land für die Kleinbauern erstritten“, sagt die FNC-Generalsekretärin Teodolina Villalba selbstbewusst. „Aber das reicht bei weitem nicht. Unseren Schätzungen zufolge gibt es derzeit 327.000 junge Bauern, die kein Land haben und deshalb auf dem elterlichen Hof mitarbeiten, was auf Dauer keine Perspektive ist.“ Der FNC organisiert Landbesetzungen und hilft mit Fortbildungskursen oder beim Aufbau gemeinschaftlicher Samenbanken. Villalba weiß, dass die Kleinbauern nur eine Überlebenschance haben, wenn sie der paraguayischen Gesellschaft vermitteln können, warum Produkte aus kleinbäuerlicher Landwirtschaft vorzuziehen sind. So hat auch Alcides Ruiz‘ Sohn Igor noch die Chance auf ein Stück Land und gesunde Lebensmittel.