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Zur Halbzeit der Agenda 2030 hat das BMZ zu einem Netzwerktreffen „Partners for change – Transformation to a food secure, resilient and sustainable future“ eingeladen. Expert*innen haben weltweit Empfehlungen in einem Konsultationsprozess erarbeitet und dann in Berlin gebündelt. Ein Ortstermin.
Zur Halbzeitbilanz strömen sie aus zwei verschiedenen Richtungen heran. In einem Innenhof Prenzlauer Bergs treffen zwei Menschenschlangen auf grünem Rasen aufeinander – so genannte „Partners for Change“, wie der Austausch genannt wird. Die einen aus dem Hauptgebäude des „Hotel Oderberger“ in Berlin, die anderen aus dem südlich gelegenen Trakt hinterm Hof. Über 200 Menschen aus 20 Ländern, ein Ziel: Was wurde seit Ausrufung der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG) im Jahr 2015 erreicht? Was ist noch bis zum Stichdatum 2030 zu tun?
Es ist Donnerstag, 14. Juni. Die Expert*innen sind zu einem Kennenlernen zusammengekommen, bevor es am Tag darauf in Workshops weitergeht. Zum Netzwerktreffen hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geladen (BMZ): Vertreter*innen aus Politik, Landwirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft wollen Empfehlungen erarbeiten; „Partners for change – Transformation for a food secure, resilient and sustainable future“ heißt der Titel. Hier in der Hauptstadt werden die Geladenen die Köpfe zusammenstecken und diskutieren, wie eine Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme gelingen kann. Es ist der vorläufige Schlusspunkt eines Konsultationsprozesses. Über Monate hinweg hatten sich die Akteur:innen in Kleingruppen getroffen, an Online Abfragen beteiligt, Empfehlungen erarbeitet und in unterschiedlichen Konstellationen diskutiert. In diesen beiden Tagen nun kommen sie an einem Ort zusammen, um die Ergebnisse festzuzurren und gemeinsam Politikempfehlungen zu erarbeiten.
Denn die Ausgangslage zur Halbzweit der SDG lässt nicht jubeln. Seit 2015 hungern weltweit Menschen nur geringfügig weniger. Und die Landwirtschaft emittiert viele Treibhausgase, ist eine Beschleunigerin des Klimawandels. Die Ideen zu sammeln und zu bündeln – das ist die Aufgabe der kommenden zwei Tage. Beim Networking Abend stehen die Menschen in Grüppchen zusammen, die Zusammenkunft soll erst einmal informell sein, aber die Gespräche drehen sich allesamt ums Fachliche: Was ist zu tun bis 2030? In einem Klappstuhl ruht sich ein junger Mann kurz aus. William Madudike, 28, steht dem Youth Board der Zimbabwe Farmers Union vor.
Was hat Sie nach Berlin gebracht?
Madudike: Ich repräsentiere die jungen Bäuerinnen und Bauern des südlichen Afrikas.
Was halten Sie vom SDG „Zero Hunger“?
Wir brauchen dieses Ziel. Auch wenn es bis dahin noch ein langer Weg sein wird. Einer, 2030 gewiss nicht zu Ende sein wird.
Welche Herausforderungen sehen Sie für Ihre Bäuerinnen und Bauern?
Es hapert beim Zugang zu angemessener Finanzierung. Und viel Land gehört dem Staat, ansonsten kann man nur erben oder kaufen. Das entzieht uns die Grundlagen erfolgreicher Bewirtschaftung.
Wie sieht es bei Ihnen aus?
Ich habe zwölf Hektar angemietet und baue vier bis fünf Sorten Kartoffeln an. Das tat ich gleich nach meinem Studium der Agrarwissenschaft, meine Eltern haben andere Berufe.
Und rüsten Sie sich gegen unterschiedliche Marktpreise, den Klimawandel?
Ich baue ein Feld nach dem anderen an, nie alle gleichzeitig. So kann ich immer ein bisschen ernten, Ausfälle und Preisentwicklungen abfedern.
Was soll die internationale Gemeinschaft unternehmen, um die Lagen zu verbessern?
Jedes Land sollte schauen, was es vor der eigenen Haustür ändern kann. Für Afrika zum Beispiel wünsche ich mir, dass sich die Afrikanische Union (AU) in Richtung der Europäischen Union (EU) entwickelt. Bisher hat sie nur eine eher zeremonielle Funktion. Und wir brauchen mehr intraregionalen Handel. Für mich ist es leichter, meine Kartoffeln nach Europa zu verkaufen als in meine Nachbarländer.
Im Garten dauern die Gespräche an. Sara Worku, 44, holt sich an einem Tresen ein Glas Wasser. Sie arbeitet für „Alliance2015“, einem strategischen Netzwerk europäischer NGO, in ihrer Heimat Äthiopien als Koordinatorin.
Mit welcher Botschaft sind Sie nach Berlin gekommen?
Worku: Dass wir unsere Ernährungssysteme umbauen müssen, und zwar inklusiv. Marginalisierte Gruppen sind längst nicht genügend einbezogen.
Und wie machen Sie das?
Es fängt mit Zuhören an. Nach meinem Studium der Geografie und Umweltwissenschaften in Addis Abeba bin ich durch die ländlichen Gegenden gereist – ich kannte sie vorher selber nicht. Meine Erkenntnis: Gerade bei den Frauen ist viel Potenzial für Empowerment.
Was fehlt?
Bisher wurde auf solchen Events wie diesem hier zu viel über das „was“ gesprochen. Das sollten wir hinter uns lassen. Nun ist es an der Zeit, dass wir besprechen, wie wir transformieren. Wir brauchen mehr Geschwindigkeit. Die internationalen Geldgeber denken zu kurzfristig, es braucht aber ein flexibleres Funding mit weniger rigiden Vorstellungen.
Dem Netzwerktreffen zugrunde liegt ein Bottom-up-Prozess. Nicht nur soll von der Veranstaltung ein Signal für gemeinsames Handeln zur Bekämpfung von Hunger, Armut und Ungleichheit ausgehen. Auch die Erfahrungen aus den verschiedenen Globalprogrammen des BMZ sollen in den Transformationsworkshops ausgetauscht, in thematischen Clustern gebündelt und als gemeinsame, politische Handlungsempfehlungen aufbereitet werden. Alle Teilnehmenden kommen aus den Partnerstrukturen der BMZ-Sonderinitiative „Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme“. Zu ihnen gehört auch Daniel M.M. M’Mailutha, der 43-Jährige steht dem kenianischen Bauernverband KENAF vor. Neunzig Prozent von ihnen, sagt er, seien Kleinbäuerinnen und Kleinbauern.
Wie viel Hektar bewirtschaften Sie?
M’Mailutha: Zweieinhalb. Ich habe mich auf Viehzucht spezialisiert, habe 54 Kühe. Hundert sind mein Ziel.
Mit welchem Gefühl sind Sie ins Flugzeug gestiegen?
Dass wir nicht nur an den Tisch gehören, sondern auch in die Küche. Wir sind die Praktiker. Ohne uns gibt es keine Transformation. Daher müssen wir nicht nur bei den Plänen im Voraus mitreden, sondern ihre Umsetzung beratend und beschließend begleiten. Nur so kann auch die Produktivität gesteigert werden.
Was braucht es dafür?
Mir fallen fünf wichtige Punkte ein: Mehr Wissen, ein Landverteilungssystem mit Blick auf die Bedürfnisse der Bäuerinnen und Bauern, mehr Infrastruktur wie Strom und Straßen, eine verbesserte Nach-Ernte-Struktur und letztlich einen Staat, der unterstützt.
Zwei Meter weiter lehnt ein Mann an einem Stehtisch. Was die Rolle des Staates angeht, kommt er zu einer ernüchterten Einschätzung. Emmanuel Atamba Oriedo, 28, schüttelt den Kopf.
Sie sind Experte zu Agrar- und Ernährungssystemen und engagieren sich in der kenianischen Zivilgesellschaft. Welche Impulse kommen von dort?
Atamba Oriedo: Die politische Führung allein schafft es jedenfalls nicht. Daher behelfen sich die Leute selbst – auch mit Innovationen.
Was ist das Problem?
Nach meinem Bachelor in Agrarwissenschaft fragte ich mich: Warum hungern so viele Leute? Es ist weniger ein Problem der Produktion, sondern des Zugangs zu Ernährung. Keiner kümmert sich, niemand übernimmt Verantwortung. Dabei müsste jedem Staat klargemacht werden: Es gibt ein Recht auf Nahrung.
Und wie spielen die SDGs da rein?
Auch bei ihnen gibt es niemanden, der zur Verantwortung gezogen werden kann. Sie hatten von Anfang an keinen echten Wert. Man hätte mit ihnen einen kontrollierenden und verpflichtenden Mechanismus implantieren sollen.
Und nun?
Es braucht einen breiten Multi-Stakeholder-Prozess. Geld ist weniger das Problem, sondern mehr, wie es benutzt wird. Jenes der internationalen Geber sollte jedenfalls nicht gebraucht werden, um Regierungsausgaben zu ersetzen.
Die Abendsonne neigt sich, färbt sich orangefarben. Etwas abseits steht eine junge Frau, sie löffelt aus einer Schüssel Kichererbsencurry. Shamika Mone steht einer riesigen Bewegung vor. INOFO ist eine autonome Organisation innerhalb der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (IFOAM), welche rund 800 Organisationen in 120 Ländern umfasst. In diesem Moment, sagt Mone, denke sie an ihren Hof, ihre Reisfelder.
Sind Sie viel unterwegs?
Mone: In diesem Jahr war ich drei Monate lang weg. Das ist schon komisch. Wenn ich auf meinem Hof bin, bin ich glücklich und will da eigentlich nicht weg.
Wie läuft es da?
Eigentlich ganz gut. Aber wir mussten eine unserer zwei Kühe verkaufen, um Ausgaben zu finanzieren. Der traditionelle Reis, den wir anbauen, entwickelt sich indes hervorragend.
Lohnt sich Ihre Arbeit bei INOFO?
Es gibt Fortschritte, aber alles ist zu langsam. Die Welt ist am Sterben, unser Mindset ändert sich nicht schnell genug. Bäuerinnen und Bauern erhalten mehr Einfluss, ja. Und ökologischer Landbau ist überall, wo er praktiziert wird, ein Erfolg. Es wird auch mehr darüber geredet. Sie lächelt. Ich versuche, die Balance zwischen dem eigenen Hof und dem Aktivismus zu halten, nicht meine Wurzeln zu verlieren. Aber uns fehlt das operative Funding, es lastet zu viel auf zu wenigen Schultern.
Aber hinter Ihnen stehen doch so viele Bäuerinnen und Bauern!
Ja, aber wir haben eine einzige Sekretärin, für zwei Stunden am Tag. Bei den konventionellen Bauernverbänden sieht es anders aus.
Am nächsten Tag versammeln sich die Expert*innen erneut in der Hauptstadt. Nachgedacht, kumuliert und diskutiert wird in acht Transformationsworkshops zu Themen wie Resilienz, Ernährungsumfelder, Agrarhandel und Digitalisierung. „Seit Jahrzehnten transformieren wir die Agrar- und Ernährungssysteme“, sagte Caren Smaller in ihrer Eröffnungsrede. „1945 wurde festgestellt, dass die Hälfte der Weltbevölkerung nicht genügend Kalorien erhält“, so die Geschäftsführerin des Shamba Centre for Food and Climate. Mit der so genannten Grünen Revolution habe man den Hunger drastisch reduziert. „Aber dies zu hohen Kosten: Für die Gesundheit und für den Planeten.“ Nicht jeder habe von ihr profitiert. „Und das sind jene, die heute für etwas bestraft werden, wofür sie nicht verantwortlich sind“, sagt sie mit Blick auf den Klimawandel. Nun brauche es eine neue, gerechte Transformation. „Es gibt einen zu starken Fokus aufs Wirtschaftswachstum“, sagt sie, „die Ausgaben zu Umwelt und Frauen stagnieren“. Es gebe keinen Mangel an Kapital. Regierungen sollten Banken belohnen, wenn sie für weniger Return mehr Risiken eingehen.
Maximo Torero von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen richtet sich nun an die Versammelten. „Die FAO arbeitet sehr hart an der Erhöhung der Resilienz.“ Ein Wechsel bei den Investments sei komplex. „Es gilt, effizienter zu werden und gleichzeitig die Emissionen zu senken.“ Und dann sagt er etwas, was viele im Lauf dieses Tages wiederholen werden: „Die Transformation muss evidenzbasiert sein.“
Im anschließenden High Panel muss sich BMZ-Staatssekretär Jochen Flasbarth gleich einer bilanzierenden Frage stellen: Was hat sich in den vergangenen zwölf Monaten getan? „Wir waren in einer beschleunigenden Multi-Krise“, antwortet er, „verteilt auf Klimawandel und Bodenverlust“ – nicht zu reden von den Nachfolgen der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine mit seinen wirtschaftlichen Schockwellen. „Aus diesem Teufelskreislauf der humanitären Hilfe müssen wir heraus!“ Dann greift er Smallers Impuls auf. „Es ist kein Widerspruch, sich bei den ärmsten Ländern aufs Wirtschaftswachstum zu fokussieren. Das wird nämlich benötigt.“ Später wird sie entgegnen: „Ja, wir brauchen großes Wirtschaftswachstum. Aber wir müssen über das Kreditwesen nachdenken. Wir haben den Sinn für globale Solidarität verloren.“
Auf die Finanzierungen kommt auch Julian Lampietti von der Weltbank zu sprechen. „Das Geld, das wir als Institution ins Ernährungssystem investieren, ist wenig im Vergleich zu dem, was die Staaten selbst in ihre Systeme stecken“, sagt er. „Von einem Dollar öffentlicher Ausgaben erreichen lediglich 35 Cent den Bauern oder die Bäuerin. Wir brauchen bessere, evidenzbasierte Interventionen.“
Dann starten die Transformationsworkshops, hinter verschlossenen Türen. Stunden später kommen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Netzwerkstreffen wieder im großen Saal zusammen. Yang Sang Koma, Staatssekretär im kambodschanischen Landwirtschaftsministerium, sagt: „Wir konzentrierten uns viel auf die Produktion. Nun ist es an der Zeit, dass wir die Ideen auf lokaler Ebene umsetzen.“ Und Alexander Kalimbira, Agrarprofessor an der Lilongwe University in Malawi, ergänzte, nötig sei der Fokus auf eine Politik, die Public Health propagiere. „Und es sollte dezentraler zugehen: Die Regierung muss Macht transferieren.“ Sonja Vermeulen von der Consultative Group on International Agricultural Research gibt zu bedenken: „Kommt es zum Thema Land, wird es schnell politisch. Viele Leute haben dies als einzige Lebensgrundlage. Wer es ihnen wegnimmt, bedroht sie. “ Abschließend äußert sich Dirk Meyer, Abteilungsleiter im BMZ. Er berichtet, dass in dieser Woche neben dem Partners for Change Netzwerktreffen eine weitere BMZ Veranstaltung zu Sozialer Sicherung in Berlin stattgefunden hat. „Ich spüre denselben Geist, dieselbe Energie.“ Man sei von negativen Nachrichten überflutet, „da braucht man manchmal solchen Brunnen an Enthusiasmus“. Stefano Fotiou von der FAO bedankt sich für den wertvollen Beitrag, den die erarbeiteten Empfehlungen für den Vorbereitungsprozess des UN Food Systems Summit Stocktaking Ende Juli in Rom leisten. Er erinnert in seinem Fazit an ein Zitat der Boxlegende Muhammad Ali: „The impossible is temporary“ – das Unmögliche ist vorübergehend.
Intensive Stunden, Tage liegen hinter den Expert*innen. Wegmarken für den Endspurt haben sie entworfen. Die UN-Nachhaltigkeitsziele bleiben im Visier. Am Ende schließt Staatssekretär Flasbarth an die Teilnehmenden adressiert: „Sie schauen frisch aus, es muss ermutigend gewesen sein.“ Er fährt fort: „Die zahlreichen Empfehlungen, wie wir gemeinsam Fortschritte bei der Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme erzielen können, sind nicht nur für die weitere Umsetzung unserer Sonderinitiative wertvoll, sondern dienen auch als Beiträge zu unseren verschiedenen multilateralen Prozessen. Dazu gehören allein in diesem Jahr das vor uns liegende High Level Political Forum in New York, das UN Food Systems Summit Stocktaking und die COP 28."